Klimawandel und erschüttertes Urvertrauen

V. hat jetzt auf seinem Bienenhausstück doch noch eine etwas größere Menge reifer Weintrauben vorgefunden und begonnen, sie zu lesen. Ich schätze, das wird eine der letzten Baumobsternten dieses Jahres sein. Es gibt nur noch einen recht gut tragenden Birnbaum, dessen Früchte erst gepflückt werden müssen. Dann wird ein langer Winter folgen, währenddessen das Thema der Baumgehölzpflege und Baumobsterträge immer weiter verblassen wird. Es ist diese zyklische Bewegung hinaus in Richtung des Kosmos im Verlauf des Frühjahrs und Sommers im Wechsel mit der Rückzugbewegung – ins Haus und bei den Pflanzen in die Erde bzw. die Wurzelbereiche. Uns würde etwas Wesentliches fehlen, könnten wir diesen vegetabilen Kreislauf, in dem sich Erde und Kosmos aufeinander beziehen, nicht mehr erleben. Tatsächlich stellt der Klimawandel eine ernsthafte Bedrohung auch für diese früher so selbstverständliche Wahrnehmung der Jahreszeiten dar. Die Unterscheidbarkeit der Jahreszeiten geht allmählich verloren. Und innerhalb einer der Zeiten zeigen sich immer öfter Extremereignisse oder Erscheinungen, die traditionell nicht zu der Zeit passen. Das Verschwinden oder Verwischen der Jahreszeiten sehe ich als eines der größten Katastrophen unserer Zeit an. Weil es mehr ist als nur ein Klimaphänomen. Unsere Selbstwahrnehmung und unsere kulturellen Grundlagen sind dadurch ebenso gefährdet und in ihrem einstigen Urvertrauen erschüttert.

Der Zukunftswert innerer Sicherheit

Noch ein paar Tage dieses Spätwinters mit Düsternis und nasser Kälte werden uns nicht erspart bleiben. Aber mit den eigenen Vorbereitungen für die künftige Pflanzsaison wird hoffentlich der Frühling auch Einzug halten. Ich schätze, das wird bei uns auch mit dem Ausgehen des Brennholzvorrats und damit dem Ende des Holzofensaison zusammenfallen. Und natürlich mit Ostern. Das wäre doch eine schöne Koinzidenz, die das Erwartbare und Vertraute, das typisch Frühlingshafte den Gemütern zuführt und ein wenig zeitlose Normalität und Gelassenheit in diese aufgeregten und ständig unsicheren Zeiten hineinwehen lässt. Es geht dabei aber nicht um Ablenkung oder gar Weltflucht. Eher um das Bewusstsein und das Vertrauen darauf, dass es noch Beständiges gibt, dass man sich auf bestimmte Erfahrungen noch verlassen kann. Dass nicht alles der Willkür, dem Zufall und der destruktiven Logik von Menschen und Mächten unterworfen ist, die der eigenen Lebenswelt mehr als fremd und unverständlich sind. Deren Auswirkungen auf unser Leben wir aber schmerzlich zur Kenntnis nehmen müssen. Etwas anderes als dem eine innere Sicherheit entgegenzusetzen, ist perspektivisch wohl kaum mehr vorstellbar.

Symbolkommunikation und die Bedeutung der Alltagssymbolik

Heute bin ich gut mit meinen Projekten vorangekommen. Das ist gut, weil es etwas Freiraum für die auf Weihnachten bezogenen Aufgaben schafft. Und da gibt’s noch einige. M. hat sich heute von einer langjährigen Mitarbeiterin verabschiedet. Ich konnte später selbst auch noch das Grab besuchen, was für mich Bedeutung hatte, war sie doch auch in meiner Kindheit und Jugend eine sehr vertraute und sympathische Person. Traurig, sich sukzessive von Lebensbegleitern verabschieden zu müssen. Es ist mir eine Beruhigung, dass wir das immerhin bewusst tun und die Dinge nicht einfach so vorübergehen lassen. Aufmerksamkeit gerade für die prägenden Erlebnisse und Erfahrungen des Lebens scheint mir wichtig, für einen selbst wie für die Familie und Bekanntschaft, für die Kommunikation überhaupt. Auch außerhalb dessen, was ich immer als Symbolkommunikation und Symbolarbeit bezeichne, im Bereich der Arbeit mit Lebenssymbolen wie den Bäumen z. B., ist ein Alltagsverständnis und eine erweiterte Aufmerksamkeit für die symbolischen Dimension des alltäglichen Erlebens so wichtig. Auch mit diesem Baumtagebuch versuche ich dieses Thema bewusst zu machen, und auch gewisse Defizite auf dieser Ebene klarer zu machen.

Aufmerksamkeit für Vertrautes erweitern

Es scheint, dass die Menschen in dieser so schwierigen Zeit sich bevorzugt zurückziehen, sich auf die eigenen vier Wände beziehen, viel renovieren und sich überhaupt mit sich und dem engeren Umfeld beschäftigen. Es ist wohl der Wunsch, so viel wie möglich Erwartbares und Vertrautes zu erleben, das der Unsicherheit im Außen etwas entgegensetzt und Selbstvertrauen aufrechterhält. Und so beobachte ich schon Ansätze von gesteigerter Aufmerksamkeit in bestimmten Alltagsbereichen und in der zweckfreien Kommunikation, aber immer noch gepaart mit einer lähmenden Ermüdung, einer Fassungslosigkeit gegenüber den Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ich hoffe, dass dennoch eine geschärfte Beobachtungsgabe übrigbleiben wird, wenn wir irgendwann den Krisenmodus verlassen. Und dass die Menschen aus der Beobachtung der Jahreszeiten im Spiegel der Bäume viel Energie für alles beziehen, was sie im Leben über die Maßen beansprucht.

Ein paradox-lebendiger Ausdruck des Vergehens

Die Lethargie, die sich unter den Menschen breit gemacht hat, scheint sich in diesen Frühherbsttagen zu verfestigen. So als ob man auf irgendetwas wartet, dessen Eintreten die Motivation wieder ankurbeln sollte. Schwer zu sagen, was dieses Ereignis oder diese Entwicklung sein sollte. Selten jedenfalls habe ich so wenig Zuversicht wahrgenommen, so wenig Vertrauen in die je eigenen Fähigkeiten, Dinge voranzubringen, aus aktuellen Eindrücken auszubrechen mit Anknüpfung an das, was man als aufbauend in der Vergangenheit kennengelernt hat. Ich kann mir in dieser Situation eine Belebung aus den Eindrücken des Blätterherbstes wünschen, wenn das Farbenspiel der Baumblätter etwas Lebendiges im Inneren anstößt, gerade weil es einen paradoxen, aber vertrauten Ausdruck des Vergehens darstellt.

Zuversicht und Vertrauen

Zuversicht und Vertrauen sind Einstellungen, die ich mir gelegentlich erarbeiten, an die ich mich auch einmal erinnern muss. Heute durfte ich erneut erleben, dass zuversichtliches Denken richtig sein kann, ohne unvorsichtig oder naiv zu werden. Solche bestätigenden Erlebnisse sind dann ein Auftrieb, der für mich sehr stimmig ist zum Osterfest. Überhaupt finde ich es erstrebenswert, die eigentlichen Bedeutungen der Feiertage ins Bewusstsein zu bringen und je individuell auch erlebbar zu machen. Das Symbolische und christlich Sinnhafte des Osterfestes spielt für unsere Familie so immer wieder eine wirkliche Rolle, die überhaupt nicht aufdringlich daher kommt, die einem ehrlichen tradierten Bedürfnis entspricht. Dass ich während der Karwoche das erste richtige Manufakturprojekt dieses Jahres abschließen konnte, reiht sich in die sinnstiftenden Erlebnisse dieser Tage ein. Und die Voraussicht auf die Zufriedenheit und Wertschätzung der Träger trägt die Aufbruchgesinnung über Ostern hinaus in die gesamte Frühlingszeit.