Ein entschlossenes Sowohl-als-auch

Ein Parteienforscher hat es im Zusammenhang mit der Analyse des Wahlergebnisses wieder festgestellt, was wir alle ohnehin wissen: In Deutschland hat sich eine Art coronabedingte Lethargie breitgemacht, die eine Entscheidung noch schwerer macht. Weiter so wie bisher oder ein moderater Richtungswechsel. Oder wie es ein anderer Kommentator aus Österreich formuliert hat, ein entschiedenes Sowohl-als-auch ist eine für Deutsche typische Grundhaltung. Ich schätze, die Unentschlossenheit und Unklarheit bezüglich der Orientierung werden noch eine ganze Weile andauern, auch das kann man nicht überraschend aus dem Wahlergebnis ableiten. Es ist die psychische Verfassung und dahinter stehend die geistige Entwicklung der Menschen, die für mich die eigentliche Baustelle sein und bleiben muss. Und ich bleibe dabei, wenn aus den tagesaktuellen Themen und Herausforderung die Anstöße ausbleiben, sind es gerade die Grundlagenthemen, die stärker und vor allem kontinuierlich Aufmerksamkeit verdienen. An der Arbeit mit diesen Themen, den natürlichen Grundlagen unseres Lebens, den geistigen Quellen des Individuellen, können wir wachsen und uns wirklich weiterentwickeln. Mindestens aber sollten wir an erreichte höhere Entwicklungsstände anknüpfen und die Rückschritte und endlosen Umwege und Schleifen der letzten Jahre hinter uns lassen.

Unauffällige Übergangszeit

Dieser Einundzwanzigste gehörte nicht zu den inspirierendsten, gemessen an der anhaltend großen Lethargie und Unentschlossenheit der Menschen. Aber er verkörperte etwas, das wie die perfekte Einheit von Sommer und Herbst wirkte. Gerade in der Mittagszeit eine unglaubliche Wärme, die dem Eindruck heftigsten Hochsommerstage in nichts nachstand. Und dann aber, auf den der Sonne abgewandten Seiten, eine Kühle, die isoliert betrachtet für den Herbst stand. Dazwischen ein undefinierter Schwebezustand, der durch de Eindruck eines beginnenden Rückzugs der Pflanzen, u. a. der Gartenbäume, sich noch verstärkt. Es ist diese Unauffälligkeit der Bäume, die ihren Wunsch ankündigen, sich demnächst auf Zeit von ihrer nach Außen gerichteten produktiven Rolle zu verabschieden und ihre Energien in die Erde, den Wurzelstock, zurückzuziehen. Der Rückzug des Chlorophylls, die Färbung, die uns zunächst wie ein ästhetischer Genuss entgegenkommt, der aber eigentlich einen Abschied bedeutet, markiert bis dahin den Übergangszustand.

Aktivierender Baumfrühling

Das Jahr schreitet jetzt schneller voran, aber die Menschen bleiben unentschlossen, wie wenn sie sich nicht trauen, Neues entschieden weiterzuverfolgen. Diese Zögerlichkeit ist überall spürbar und lässt uns nicht sehr flüssig ins Arbeitsjahr hinein finden. Ich nutze das nach Möglichkeit kreativ, um sonst übrig Bleibendes zur Geltung kommen zu lassen und damit persönliche Entwicklung zu befördern. Obwohl das häufig mit Technik und Techniken zu tun hat, gehen meine Gedanken doch in diesen Tagen häufig zu den lebenden Bäumen und wie sie phänomenologisch den Frühling anzeigen. Dieses Anzeigen, die durch die Bäume angezeigte Gewissheit, dass der Frühling angekommen ist, könnte besagte Lethargie auflösen. Technik, Reflexion und formales Lernen allein vermag das häufig nicht.

Jahreszeitliche Abhängigkeiten

Mir scheint, die Menschen haben mit dem schon fühlbaren Herbst bzw. dem erkennbaren Umbruch der Jahreszeit zu kämpfen. Solche Umstellungsprobleme äußern sich meist in besonders ausgeprägten Verzögerungen, Unentschlossenheit, der Tendenz, die Dinge lieber noch aufzuschieben, v. a. weiter reichende Entscheidungen. Wenn es dann irgendwann wieder flüssiger wird, ist auch die Jahreszeit angekommen und nicht mehr im Übergang. Ein weiteres Anzeichen für unsere Abhängigkeit vom jahreszeitlichen Zyklus, der oft nicht bewusst, aber doch sehr wirksam sein kann. Die Bäume als Spiegel der eigenen Persönlichkeit und als starkes Symbol ganzjährig präsent zu haben, ist für mich eine große Bereicherung. Allein die täglichen Baumtagebucheinträge stellen das schon sicher. Denn gerade die beschriebene Abhängigkeit ist dann relativiert und ich kann mich den tiefer gehenden und sehr vielgestaltigen symbolischen und ästhetischen Ebenen nähern und diese kreativ verarbeiten, die sich in der Beschäftigung mit den Bäumen wie von selbst eröffnen.

Unentschieden zwischen Sommer und Herbst

M. stimmt mit mir überein, dass diese Tage eindeutig nicht mehr wie Sommer aussehen. Dabei wäre jetzt der traditionelle Beginn des Altweibersommers. Dazu fehlt es an Wärme und vor allem an Licht. Es ist das typische Licht der tief stehenden Nachmittagssonne, die ich heute bei der handwerklichen Arbeit im Garten gerne im Rücken gespürt hätte. Leider fiel das aus, weswegen weder echtes Spätsommerfeeling noch irgendwelche Herbststimmungen aufkommen wollen. Diese Unentschiedenheit in der Witterung spiegelt sich in diesen Tagen, wie so oft, auch in der Entschlussträgheit der Menschen. Wenn das so weiter geht, fällt der Altweibersommer aus, was nach meiner Erfahrung die Chancen auf einen goldenen Oktober erhöht. Beides hintereinander habe ich dagegen selten erlebt. In jedem Fall wünsche ich mir, dass wir bevorstehenden Jahreszeitenwechsel im Spiegel der Bäume in markanter Form wahrnehmen dürfen.

Gespiegelte Unentschlossenheit

Das ist bisher noch nicht der Frühling, den wir uns vorgestellt haben. Vor einer Woche hatte man dazu noch andere Erwartungen. Aber bevor es schöner wird, müssen wir wohl erst noch durch eine weitere Woche mit ziemlich niedrigen Temperaturen, die in den Nächten bis zum Gefrierpunkt absinken. Entsprechend still steht die Vegetation, die ihre frischen Blatttriebe und zarten Blüten gefährdet sieht und sie deshalb lieber noch zusammengefaltet lässt. Diese Unentschlossenheit spiegelt sich wie immer in der Gemütslage der Menschen. Und doch ist diese Heiterkeit bereits latent vorhanden, die der richtige Frühling mit Gewissheit mit sich bringt und an uns weitergibt.