Für eine Stärkung des Grundlegenden

Der Verlauf des Sommers macht mich ein wenig ratlos. Ganz anders ist das wie von den Vorjahren gewohnt. Vielleicht eher wie der Sommer von „früher“, aber doch von Ungleichgewichten geprägt, die wie eine Spiegelung des Ungleichgewichts in Gesellschaft, Psyche und Kultur wirken, das uns seit Beginn der Krise mit unverhofften Wucht heimgesucht hat. Die Mitte zu finden ist ohnehin die große Herausforderung unserer Zeit, aber sie so mühsam immer wieder erarbeiten zu müssen, wirkt auf mich wie ein riesiger Rückschritt. Zumindest ist es ein Umstand, der Fortschritt verhindert, zusätzlich zu dem unverständlichen Vertrauen in rein wissenschaftliche Denkart und wissenschaftliche Erklärung, das eigentlich vor über hundert Jahren schon überwunden schien. Damals gab es vielversprechende Ansätze für eine Stärkung des transzendenten Bewusstseins und eine Anerkennung seines bestimmenden Einflusses auf unser Denken und Handeln. Was nur ist übrig von dem, was u. a. die anthroposophischen Einsichten hätten auf breiter Front anstoßen können? Wir sollten uns gerade in dieser Krise kräftig schütteln und den Riesenumweg endlich abkürzen, zu wirklich Wichtigem zurückkehren. Gegenwärtig ist das nur schwer vorstellbar, wenn politische Rahmensetzungen von den wissenschaftlichen Empfehlungen der Virologen, Physiker und Mediziner dominiert wird. Lasst uns bitte alles Andere nicht vergessen, und dass dieses Andere das wirklich Grundlegende darstellt. Die Baumprojekte verstehen sich vor allem als Beitrag zu dieser Stärkung in der Orientierung am Grundlegenden.

Das Höhere im Anblick der Bäume erkennen

Das Mai-Kalenderblatt meines großformatigen Baumkalenders ist auch wieder sehr eindrucksvoll. Ein stimmungsvoller Buchenwald, dessen Standort nicht näher angegeben ist. Aber dabei geht’s ohnehin um die Atmosphäre, das von oben einfallende Licht, die dadurch hervorgerufenen Abschattungen und Transparenzspektren des Blattgrüns, das Traumwaldartige, das die Anwesenheit von etwas Höherem erahnen lässt. Ein Symbolbild letztlich für das Aufscheinen des Göttlichen in der Natur. Solche Fotografien sind nur eine Möglichkeit, das zum Ausdruck zu bringen. Auch die andere Perspektive, die auf die vielen faszinierenden Details von Bäumen, ihrer Blätter, Blüten und Früchte, Ihrer Knospen, Äste und Wurzeln, können diese Höhere anzeigen und uns helfen, uns mit ihm zu verbinden.

Allerheiligen, Symbole, Transzendenz

Allerheiligen, und keine Gelegenheit zu einem Friedhofbesuch. Nach der Einebnung von Gs Grab ist es auch nicht mehr dasselbe. Die ehemalige Stätte ist heute von einem neu angelegten Gehweg durchschnitten. Schwer deshalb, den Ort in unverstellter Form zu erinnern. Dennoch werde ich das sicher in den kommenden Tagen nachholen. Idealerweise morgen, wenn es mit dem Allerseelenfest ohnehin noch passender ist. Die Feiertagsatmosphäre, die besondere Energie dieses Tages war dennoch für mich und sicher auch für den Rest der Familie durchweg spürbar. So wie ich für mich selbst sagen kann, dass sich Feiertage einfach anders anfühlen, auch wenn sie auf einen Wochentag fallen. Die Existenz solcher kirchlichen Feiertage hat für mich große Bedeutung, als Ruhepunkte der Kontemplation. Als Projektionsflächen für Traditionen und grundsätzliche religiöse Motive. Diese Bedeutungen sind das eigentlich Wesentliche, das hier und da Unterstützung findet durch äußere Symbole. Zum Beispiel durch die in der Dunkelheit rot oder weiß leuchtenden und flackernden Grablichter, durch allerlei Kränze, Gestecke und Symbolformen, die sich auf den Gräbern zum Andenken der Angehörigen finden. Und eingerahmt durch die immergrüne Bepflanzung des Friedhofs mit Zypressen, Eiben, Kiefern und Fichten, die das Bleibende vergegenwärtigen und damit für die Transzendenz des Todes stehen. Tod und ewiges Leben im christlichen Sinne, Tod und Leben stehen hier eng beieinander. Und an keinem anderen Tag ist die Allgegenwart der Seelen unsrer verstorbenen Angehörigen so im Zentrum der Aufmerksamkeit wie an Allerheiligen und dem folgenden Allerseelentag. Gut, dass wir solche Gedenktage haben.

Das Transzendente im Natürlichen erkennen

Immerhin, die Sonnenstundenbilanz für diesen August ist minimal besser als bei dem ebenfalls ins Wasser gefallenen August 2010. Also doch nicht der lichtärmste Hochsommermonat der letzten Jahre. Den Eindruck hätte man aber doch gewinnen können. Zu bedauern sind wirklich die daheim gebliebenen Schulkinder, deren Ferien so sicher nicht die reinste Freude waren. Solche meteorologische Not soll aber auch seine kommunikativen Seiten haben. So haben die beiden 13-jährigen mir vor einigen Tagen erzählt, dass sie nie so oft Gesellschaftsspiele gespielt hätten wie in diesen Sommerferien. Da wir in der Familie den Garten, seine ästhetischen Seiten und die eigenen Erzeugnisse aus Garten und Streuobstwiesen quasi zum kleinsten gemeinsamen Nenner erkoren haben, fällt es mir auch bei solch eher widerständiger Witterung nicht schwer, den Kontakt zu halten. So verfolge ich die grünen Pflanzen und dabei vor allem die Bäume meiner Umgebung immer mit Aufmerksamkeit. Ihre Veränderungen, Früchte, ihr schrittweiser Rückzug im Herbst sind wichtige Bestandteile meines Naturerlebens. Und ich bin froh, so dem, wofür sie im weiteren Sinne stehen, immer wieder ein Stück näher zu kommen. Es scheint so, dass die transzendenten Dimensionen des Natürlichen zwischendurch immer wieder durchschimmern, wenn man sich kontinuierlich mit seiner Oberfläche und seinen symbolischen Implikationen auseinandersetzt. Das Baumtagebuch ist für mich ein wichtiger Baustein dieses Erkennens und Dazulernens.