Die traurige Seite der späten Novembertage

Wir haben an diesem Einundzwanzigsten einen Teil der letzten Gartenarbeiten erledigt. In einer Regenpause, die selten genug geworden sind. Aber das schon größtenteils verrottete Laub der Gartenbäume ist jetzt zur Hälfte in der Grünen Tonne untergebracht und zur anderen Hälfte mit dem Rechen zu zwei großen Haufen zusammengetragen. Viele Blätter fallen jetzt nicht mehr, nur am Ginkgo sind noch einige wenige hängen geblieben, und auch beim Feigenbaum. Aber das Thema Baumherbst ist jetzt schon so gut wie abgeschlossen. Passend zu diesem unwirtlichen Herbsterlebnis mussten heute J. und W. etwas sehr Trauriges verkraften, das sie hoffentlich nicht zu stark belasten wird. Aber das sind eben die Verwirrungen und Verstrickungen des Lebens, zu denen auch solche unverhofften hereinbrechenden traurigen Erlebnisse gehören. In solchen Dingen fällt es dann auch mir schwer, dieser Zeit des natürlichen Abbaus und Rückzugs in der Natur das Positive abzugewinnen, das eben auch in ihm steckt. Nämlich der kommende Frühling, die Wiederbelebung, die im Niedergang schon angelegt ist.

Lebensläufe mit Formen untergründigen Gleichklangs

Der feierliche Abschied vom Vater eines Jugendfreunds war heute Anlass für autobiografische Rückblicke, für mich und auch für M. und V. Da stellt man Gemeinsamkeiten fest, zwar nicht zum ersten Mal, aber zum Anlass eben erneut, die einen gewissen Einfluss auf den eigenen Lebenslauf, die eigene Positionierung und allgemein die Einschätzung von Menschen und Kommunikationen haben. Und natürlich denke ich dann auch an eine vergleichbare Situation in Bezug auf mich selbst. Nicht wirklich überraschend, weil eigentlich aus der eigenen Lebenserfahrung bekannt, aber doch von Zeit zu Zeit stärker ins Bewusstsein tretend sind Gemeinsamkeit, in dem Fall mit der Verarbeitung eines Werkstoffs, dem handwerklichen Umgang mit Holz, die auf einer ganz speziellen, auf den ersten Blick abwegig erscheinenden Ebene, liegen und doch für die parallel sich entwickelnden Biografien und vielleicht auch für die kommunikative Beziehung Sinn machen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass dieser Sinn, der zu Lebzeiten immer nur untergründig mitschwingt, in der Lebenszeit der Seele zwischen zwei Inkarnationen eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Rolle spielt. Auch deshalb ist es wichtig, diesen Sinn zu Lebzeiten zu akzentuieren, wie mir das heute im Rahmen der Trauerfeier möglich war.

Leben und Tod als zyklisches Kontinuum

Auch dieses Allerheiligen, das uns als Feiertag gegönnt bleibt, hat sich für uns wie ein Feiertag angefühlt, obwohl es auf einen Montag fiel. Die Feiertagskultur in Deutschland sehe ich generell als eine große Errungenschaft an, von der ich hoffe, dass sie auch langfristig niemals allzu rationalistischen Denkweisen geopfert werden wird. Da Gs Grab schon seit einigen Jahren die Liegezeit überschritten hat und nicht mehr existiert, hat der Gedenktag nicht mehr dieselbe Anmutung für uns wie zu meinen Kindertagen und noch bis vor wenigen Jahren. Aber die fokussierte Chance, die Gedanken besonders konzentriert auf die verstorbenen Angehörigen zu lenken, ist immer noch eine sehr wichtige für uns geblieben. Denn diese Verstorbenen sind für unsere Familie immer sehr wichtig, bestimmen auch aus der Existenzform heraus, in der sie sich jetzt befinden, noch unsere Geschicke ein Stück weit mit. Dass das tatsächlich so ist, auch wenn es oft unbewusst bleibt, konnte ich heute noch einmal in einer der Vortragsmitschriften von Rudolf Steiner, diesmal aus dem Jahr 1918 nachlesen, in dem nicht nur die Präsenz der sogenannten Toten und ihre Bedeutung für unser aktuelles Schicksal, sondern auch generell die in bestimmten Rhythmen gestalteten Lebensabläufe der Lebenden in Bezug auf ihr künftiges Leben in den Zwischenwelten betrachtet wurde. So betrachten bilden Leben und Tod ein zyklisches Kontinuum, das ein ständiges Mitbeachten und Verstehen der geistigen Welt als Ambition nahelegt. Es ist ein Motiv meiner Beschäftigung mit den Bäumen als Lebenssymbole, diese Ambition täglich im Blick zu behalten.

Ein letztes Aufbäumen

Es scheint nun doch so etwas wie eine vorweihnachtliche Nachfrage zu geben. Vielleicht liegt es aber auch an dem konstant ungemütlichen Wetter und daran, dass die Tage schon so kurz geworden sind. Da kommt verstärkt das Bedürfnis nach symbolischer Kompensation auf. Und merkwürdigerweise richtet sich die Aufmerksamkeit dann besonders auf die Bäume. Auf andere Weise natürlich als in der hellen und warmen Jahreszeit. Man nimmt jetzt eigentlich das Symbolische, das mich seit Jahren so beschäftigt, verstärkt in den Blick, gerade weil die Präsenz der Bäume allmählich schwindet und sie sich auf ihre Basisexistenz zurückziehen. Der Blätterherbst mit seinen idealerweise warmen und intensiven Farben ist ein letztes Aufbäumen, schon auf der Basis eines Zerfalls- und Abbauprozesses, der uns im Auge aber im Gegenteil farbenfroh erscheint. Immer aber ist dieser Eindruck gemischt mit einer kaum vermeidlichen Melancholie, die das Vergehende im Zyklus der Jahreszeit mit der eigenen Vergänglichkeit sehr bildhaft in Verbindung bringt.

Geteilte Gegenwart

Ks Trauerfeier war sehr würdig und eindrucksvoll, auch weil viele aus seiner Familie, viele Freunde und Bekannte aus verschiedenen Regionen zusammengekommen sind, seiner gedachten, ihm musikalisch die letzte Ehre erwiesen oder etwas über ihn und sein Leben zu unterschiedlichen Zeiten erzählten. Die kirchliche Zeremonie wurde dann auch nicht wirklich vermisst. Ich freue mich, durch das reproduzierte Porträtbild auch einen kleinen Beitrag zur Gestaltung der Feier geleistet zu haben, wodurch sich die Anwesenden ihn sich auch bildlich wieder vor Augen halten konnten. Es war doch spürbar und den Angehörigen sicherlich ein Trost, dass von den Menschen etwas bleibt, was für die Hinterbliebenen nie an Bedeutung verliert, was sie immer begleitet und deren Leben ebenfalls erst vollständig macht. Es ist dieses Ewige, das sich in anderen Sphären auch irgendwann wieder zu Gunsten einer geteilten Gegenwart auflösen kann.

Lebendige Eindrücke und Reminiszenzen

An diesem Samstag hatte ich zunächst die Möglichkeit, meiner früheren Lehrerin die letzte Ehre zu erweisen. Sie gehörte zu den Pädagogen, die bei mir wirklich einen positiven Eindruck hinterlassen haben. Wenn ich an alte Lehrer denke, ist sie jedenfalls immer die erste gewesen, an die ich dachte. Es war diese unkonventionelle, die Eigeninitiative fördernde Form von Unterricht, die damals zusätzliche Energien freigesetzt hat. Ich denke, auch die damaligen Kollegen sahen und sehen das ähnlich. Schade, dass der Kontakt nun schon sehr lange nicht mehr bestand. Die gemeinsame Lebenszeit, das Stimmige darin und seine Wirkungen auf das Leben aber bleiben. Dem Leben im Garten habe ich mich am Nachmittag wieder zugewandt. Es war jetzt der Freiraum, die wuchernde Efeuhecke zurückzuschneiden. Zum wiederholten Mal für dieses Jahr. Und das Unkraut rund um die Sonnenblumen, Mohnblumen und die anderen Sommerstauden des Gartens zu beseitigen. Auch das Stammgerippe der Stechpalme habe ich endlich aus der Erde gehebelt. Schweren Herzens, wie ich auch vor einige Wochen nur schwer akzeptieren konnte, dass der Baum keine Chance mehr hat. Woran es lag, konnte ich auch nach der genauen Betrachtung des Wurzelstocks nicht erkennen. Teile des Splintholzes direkt unterhalb der Erdoberfläche waren zwar offensichtlich morsch. Aber die Vermutung, eine Wühlmaus könnte die Rinde im Wurzelbereich kreisrund abgefressen und dem Baum so den Nährstofftransport abgestellt haben, war so nicht zu identifizieren. So bleibt das Ganze ein Rätsel. Und der Garten hat einen markanten Baum weniger. Wir sind noch nicht sicher, ob er ersetzt werden soll.

Beobachtungen zur aktuellen Friedhofskultur

Heute konnten wir den gestern versäumten Friedhofsbesuch nachholen. Dem Gräberschmuck nach zu urteilen, ist die Tradition durchaus noch lebendig, auch wenn inzwischen wohl weniger Menschen zur offiziellen Segnung kommen. Die Grablichter sind zahlreich, und die meisten Angehörigen haben auch schöne, liebevoll gestaltete Gestecke als Schmuck gewählt. Damit wird m. E. sogar eine größerer Aufwand betrieben als zuvor. Immer häufiger an kleinen Grabstätten für Urnen oder auf Rasengräbern zu finden. Die Vielfalt der Bestattungsformen hat zugenommen, aber die Menschen fühlen sich eben auf die eine oder andere Weise immer noch ihren Verstorbenen verbunden und dokumentieren dies in persönlicher Form. Der Blätterherbst zeigt sich in diesen Tagen erstmals deutlich. Die vielen welken Blätter auf den Gräbern und Friedhofwegen zeugen davon. Ganze Teppiche haben sich da ausgebreitet und rascheln, wenn man sie durchschreitet. Dieses Geräusch aus herbstlichen Waldspaziergängen gehört zu den deutlichsten Erinnerungen meiner Kindheit. Kein Wunder, die Jahreszeiten im Spiegel der Bäume haben mich schon damals fasziniert.

Allerheiligen, Symbole, Transzendenz

Allerheiligen, und keine Gelegenheit zu einem Friedhofbesuch. Nach der Einebnung von Gs Grab ist es auch nicht mehr dasselbe. Die ehemalige Stätte ist heute von einem neu angelegten Gehweg durchschnitten. Schwer deshalb, den Ort in unverstellter Form zu erinnern. Dennoch werde ich das sicher in den kommenden Tagen nachholen. Idealerweise morgen, wenn es mit dem Allerseelenfest ohnehin noch passender ist. Die Feiertagsatmosphäre, die besondere Energie dieses Tages war dennoch für mich und sicher auch für den Rest der Familie durchweg spürbar. So wie ich für mich selbst sagen kann, dass sich Feiertage einfach anders anfühlen, auch wenn sie auf einen Wochentag fallen. Die Existenz solcher kirchlichen Feiertage hat für mich große Bedeutung, als Ruhepunkte der Kontemplation. Als Projektionsflächen für Traditionen und grundsätzliche religiöse Motive. Diese Bedeutungen sind das eigentlich Wesentliche, das hier und da Unterstützung findet durch äußere Symbole. Zum Beispiel durch die in der Dunkelheit rot oder weiß leuchtenden und flackernden Grablichter, durch allerlei Kränze, Gestecke und Symbolformen, die sich auf den Gräbern zum Andenken der Angehörigen finden. Und eingerahmt durch die immergrüne Bepflanzung des Friedhofs mit Zypressen, Eiben, Kiefern und Fichten, die das Bleibende vergegenwärtigen und damit für die Transzendenz des Todes stehen. Tod und ewiges Leben im christlichen Sinne, Tod und Leben stehen hier eng beieinander. Und an keinem anderen Tag ist die Allgegenwart der Seelen unsrer verstorbenen Angehörigen so im Zentrum der Aufmerksamkeit wie an Allerheiligen und dem folgenden Allerseelentag. Gut, dass wir solche Gedenktage haben.

Symbolbäume für Licht und Tod

Birke und Weide. Zwei ganz gute Hölzer für diese Tage. Denn die Birke steht für das Licht, das wir zurzeit meist vermissen, wenn es auch heute während meiner Arbeit daran schien und mir eine Ahnung des bisher nicht stattgefundenen goldenen Oktobers vermittelt hat. Und die Weide, weil sie trotz ihrer Leichtigkeit immer auch die Assoziation des Todes mit sich trägt, für mich ein Vorgriff auf den November als den wohl deutlichsten und eindrücklichsten Übergangsmonat, der uns den Tod im vegetabilen Außen zeigt und den Rückzug ins Innere nahelegt. Es ist wie immer, auch die Begegnung mit bestimmten Holzarten und die Chance, mich diesen zu widmen, ist nicht zufällig. Sie erfüllen ihren Zweck als materielle Anstöße für Reflektionen über die besondere Ausformung der Jahreszeit und unsere Einstellung darauf.

Herbstfarben, Tod und Wachstum

Ein Einundzwanzigster, der den Herbst von seiner unangenehmeren Seite zeigte. Das ist also der Vorgeschmack auf das Winterwetter, das uns letztes Jahr begleitet hat. Nicht sehr kalt, aber nass und ungemütlich, Gott sei Dank mit einem guten Ende, nämlich einem früh einsetzen Frühjahr. Von mir aus könnte es diesmal wieder ein richtiger Winter werden, schon wegen der Insekten, aber auch weil sich die Jahreszeit dann echter anfühlt. Ein richtiger Winter, der in einen frühen und langen Frühling übergeht. Das wäre schön. Die expandierende Zeit der Bäume ist jetzt zu Ende. Man bemerkt überall den Rückzug. Das Laub wird bei vielen Arten jetzt hart, verfärbt sich, ersetzt sein Chlorophyll durch die roten Farbstoffe. Aus der saftigen Frische des Sommers wird spröde und trockene Farbigkeit. Seltsam eigentlich, dass ausgerechnet das uns das Bild der Herbstes vermittelt: Farben, die eigentlich für einen Tod stehen. Leuchtendes Gelb, Rot und Braun als Künder des Absterbens, aber eben auch als Vorhersage des neuen Wachstumszyklus. Ich habe dieses Herbstlaubthema heute wieder zum Gegenstand verschiedener Bildmontagen gemacht. In den nächsten Tagen will ich das weiter ausarbeiten und bin ganz zuversichtlich, dass ich dieses Konzept in eine Reihe einprägsamer Bilder umsetzen kann.