Wahrnehmungsschwerpunkte des Baumlebens

In jüngster Zeit werden die Besuche meiner Wunschbaum-Seiten wieder zahlreicher. Ich lese das ab an der Zunahme von Kommentaren, an Rückmeldungen verschiedenster Art. Ich glaube, das liegt weniger am Winter – auch möglich, wie in den beiden letzten Jahren mit richtigem Winter – vielmehr in diesem Jahr an der Erwartung des Frühlings. So gibt es Jahre, in denen die Winterperiode dominant bleibt, auch in der Erinnerung, und andere, die durch den Sommer im Gedächtnis bleiben. Diesen Winter können wir eigentlich vergessen. Er war weder durch die Abwesenheit der Bäume präsent noch durch ihre Betonung, etwa durch malerische Schneebepuderungen. Es war und ist noch ein Winter, in dem die Bäume sich ganz zurückgezogen haben und nur bei expliziter Beobachtung, etwa beim Fotografieren, ins bewusste Menschenleben zeitweilig zurückgekehrt sind. Das muss wohl auch einmal sein, immer damit verbunden, dass ein anderer Abschnitt des Lebenszyklus in den Vordergrund rückt. Wird es diesmal das Frühjahr mit seinem ersten Grünen und Blühen sein. Oder wird statt des vegetativen Anfangs die Hochzeit des Wachstums im Sommer, oder das Fruchten im Herbst den Wahrnehmungsschwerpunkt bilden. Jetzt ist es noch zu früh, dazu eine Prognose abzugeben. Nur die Ruhezeit können wir wohl ausschließen.

Kultur prägende Jahreszeiten

Das Thema Holzofen ist für diesen Winter noch nicht vom Tisch. V. hat das heute nochmal angesprochen, aber es regen sich nach wie vor Widerstände von anderer Seite. Ich bin eigentlich dafür, wenn es jetzt längere Zeit bei diesen Frosttemperaturen bleiben sollte. Wenn nicht jetzt, wann dann. Und Diskussion und Aufwand in Sachen Brennholzvorrat hatten wir in den Vorjahren wahrlich genug. So steht ein für Jahre reichender Vorrat einer Nicht-Verwendung gegenüber. Irgendwie verrückt. Aber wahrscheinlich einfach nur eine Folge des Klimawandels. Dabei machen mir persönlich die milderen Winter weniger aus als die unberechenbaren übrigen Jahreszeiten. Es ist eigentlich das Chaos in den warmen Phasen des Wachstums, die uns besonders stark irritieren und den Glauben an das kulturell tradierte Empfinden der Jahreszeiten verwässern. Ich kann mir noch nicht ausmalen, welche Folgen das auch für die Alltagskommunikation und unser Umgang mit Symbolen des Natürlichen haben wird.

Den Jahreszeitenwechsel in sich aufnehmen

Die Atmosphäre hat schon seit Tagen den Charakter, den ich sonst kurz vor Allerheiligen wahrgenommen habe. Die typische Novemberstimmung, die den Übergang zum Kalten und nicht mehr auf Wachstum Angelegten kennzeichnet. Nicht schon die vollständige Zurückgezogenheit, sondern die Ankündigung derselben. Und gerade weil ein Übergang erkennbar wird, ist die Veränderung an sich greifbar. Der Winter selbst bringt dann schon diese Klarheit und Selbstverständlichkeit mit sich. Ich finde solche Dinge besonders spannend, zu beobachten, wie Menschen mit dem Wechsel der Jahreszeiten umgehen, wie sie diesen Wechsel im Spiegel der Bäume in sich aufnehmen und wie ihr eigenes Seelenleben davon berührt und nicht unwesentlich beeinflusst wird. Wir wissen noch viel zu wenig über diese Zusammenhänge, obwohl sie wahrscheinlich lebenswichtiger sind als so manche Entwicklung in den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen.

Jahreszeitliches Empfinden

Zwar ungemütlich, aber beim Spaziergang merkt man schon die Frühlingsluft. Der Winter hat keine wirkliche Chance mehr, dennoch glaube ich, dass er uns noch eine kleine Weile ärgern wird. Ich kann es auch mit einer jetzt zunehmenden Abkehr vom Thema Holz und Baumsymbolik erkennen. Die realen Bäume sind jetzt schon wieder präsenter. Das verursacht erfahrungsgemäß zunächst eine erneute Hinwendung und eine tendenzielle Abkehr vom Symbolischen. Wenige Wochen später nivelliert sich das aber wieder. Das sind solche Beobachtungen, die ich inzwischen immer wieder bestätigt finde. Naturwahrnehmung und das Bedürfnis nach einem Austausch mit dem Natürlichen, oft in Form einer Selbstspiegelung verändert sich im Jahreslauf. Das ist eine der Grundlagen unseres jahreszeitlichen Empfindens.

Natur als Wahrnehmungsprodukt

Die ersten sonnigen Stunden seit Wochen durften wir am Nachmittag heute erleben. Noch keine Reize gehen derzeit von der Baumlandschaft aus. So richte ich meine Aufmerksamkeit noch auf die Verarbeitung der symbolischen Aspekte dieser Rückzugszeit, die uns gerade durch die lange Abwesenheit von Licht und Grün den neuen Zyklus ins Bewusstsein rückt und den Frühling in der Empfindung vorwegnimmt. Irgendwann ist er dann da. Und in dieser Perspektive fühlt sich diese Zeit schon nicht mehr wie Winter an. Sondern wie etwas, das katalysiert durch die Fastnachtstage bereits abgewickelt ist und nur noch aus formalen Gründen auf seine Auflösung wartet. Es ist interessant zu sehen, wie wir selbst unsere Wahrnehmungen im Kopf bereits viel früher vorbereiten und gewissermaßen kreativ ausgestalten. Das macht die Natur nicht zu einem von uns Unabhängigen, sondern ein Stück weit zu einem Produkt unseres aufmerksamen Lebens.

Vorfreude auf den neuen Jahreszyklus

Ob der angehäufte Brennholzvorrat bis zum Ende der Holzofensaison wohl reicht. Das ist schwer einzuschätzen. Der Haufen ist überschaubar geworden, und nächste Woche ist ein Temperaturanstieg vorausgesagt. Das könnte es durchaus sein, dass der Winter sich schneller verabschiedet, als wir zuletzt dachten. Mir wäre das Recht, freue ich mich doch jetzt schon auf das erste Grün der Spitzahorne, das zunächst in Form ihrer Blüten sichtbar wird, und kurze Zeit später dann durch die Blätter. Bald darauf geht’s Schlag auf Schlag, bis wir wieder eingetaucht sind in dieses üppige Grün des Frühlings und der aufbauende Teil des neuen Jahreszyklus seinen Lauf nimmt. Die Wunschbaum-Projekte beschäftigen mich jetzt schon sehr. Es wäre schön, wenn sie durch das Frühjahr auch die dem entsprechende gute Resonanz dauerhaft erzeugen.

Frühjahr-, Sommer-, Herbst- und Winter-Jahre

Tatsächlich kann mich der Winter in diesem Jahr nicht wirklich faszinieren. Die schönen Bilder aus Finnland und anderen Regionen, in denen prächtige Winterlandschaften und Baumsilhouetten zu sehen sind, wirken für sich gesehen eindrucksvoll, aber mit dem von mir wahrgenommenen Winter hat das nichts zu tun. Vielleicht kann man sagen, es gibt Frühjahr-, Sommer-, Herbst- und Winter-Jahre. So würde ich es ausdrücken. Oft hinterlässt eine der Jahreszeiten einen bleibenden und prägenden Eindruck bei mir. Und das wechselt von Jahr zu Jahr. Jedenfalls habe ich mich selten so auf den Frühling gefreut, von dem ich hoffe, er wird nicht so lange auf sich warten lassen wie in 2013. Ein zeitiges Frühjahr gibt den exotischen Bäumen eine Chance, bis zum Frühherbst reife Früchte hervorzubringen. Eine Wiederholung fände ich klasse.

Natürliches Kulturgut

Die Fernsehdokumentation über das historische Erleben des Winters in ländlichen Regionen der Eifel und am Bodensee in der Nachkriegszeit fand ich sehr interessant. Ähnliche Geschichten können auch meine Eltern noch von früher erzählen. Gemeinsam ist diesen Schilderungen, dass der Winter heute offenbar nicht mehr dasselbe ist. Weniger Schnee, weniger wirklich große Kälte. Deutliche Zeugnisse einer tatsächlich stattgefundenen und stetig stattfindenden Erderwärmung. Das hat nicht unerhebliche Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung der Jahreszeiten. Für die empfindlicheren Bäume in unseren Gärten, v. a. den Feigenbaum und manche anderen Obstsorten, freut es mich zwar, dass die ganz großen Fröste meist ausbleiben. Aber die Nivellierung der Unterschiede zwischen Herbst, Winter und Frühling bedeutet auch eine Art Verlust regionaler Identität. Denn häufig sind es ja gerade die Extreme, die uns etwas bewusst machen und als Kulturgut sozusagen im Gedächtnis haften bleiben.

Land der Bäume

Wir haben in diesen Tagen viel Freude mit unseren Gartenbäumen. Sie beim Wachsen zu beobachten, den Zuwachs an Laub, die Zunahme des Stammumfangs und bei den Obstbäumen das langsame Reifen der Früchte zu verfolgen, bringt uns nahe an die jeweilige Jahreszeit heran. Dann wird deutlich, wie sehr unser Denken und Wahrnehmen von den klimatischen Verhältnissen und Zyklen der mittleren Breiten geprägt ist. Kaum vorstellbar wäre es ohne diesen zyklischen Wechsel und alle Veränderungen, die sie mit sich bringen. Die Formbildungsprozesse der Natur werden dadurch besonders anschaulich und begreifbar. Schön, dass ich in einem Land der Bäume leben darf.