Winter-Zeitenwende

Auf mich wirken diese Tage im November wie ein Vorgriff auf tiefste Wintertage, in denen man sich schon weit ins Innere zurückgezogen hat und an denen die wohlige Heizung mit dem Holzbrandofen schon Routine geworden ist. Dabei hat die Adventszeit noch nicht einmal begonnen. Aber die Menschen nutzen jetzt schon die Gelegenheit, um sich zurückzuziehen, Dinge möglichst aufzuschieben und in diffus wirkender Weise auf eine von außen kommende Veränderung, auf Anstöße von außen zu warten. Das scheint als die sicherste Verhaltensweise aufgefasst zu werden. Besinnung auf sich selbst, die Familie und das, was sich als relativ konstant im Laufe des Lebens bewährt hat. Darüber freue ich mich einerseits, weil gerade die Konstanten für mich ja so spannend sind – das ganze Jahr über und auch schon seit vielen Jahren. Aber leider ist zuletzt der Rückzug so flächendeckend und radikal ausgefallen, dass sogar die Aufmerksamkeit für meine Wunschbaum-Angebote, das Konstante durch zeitlose Lebenssymbolik in Form zu bringen, derzeit nur geringfügig vorhanden scheint. Solche Phasen habe ich schon öfter erlebt, aber in so rascher Folge und so deutlich waren sie noch nie ausgefallen. Auch deshalb ist das Postulat einer Zeitenwende nicht von der Hand zu weisen.

Geschichte vs. zeitlose Grundlagenthemen

Der gesetzliche Feiertag hat schon eine Bedeutung für mich, auch wenn ich die Aura kirchlicher Feiertage deutlich intensiver wahrnehme. Aber die nationale Zugehörigkeit, gerade vor dem Hintergrund der deutschen Einheit ist natürlich ein immer auch biografisches Ereignis, mit dem jeder, der damals schon gelebt hat und es bewusst mitverfolgen konnte, ein Erlebnis verbindet oder zumindest sich erinnert, in welcher Lebenssituation und Stimmung er sich zu dem Zeitpunkt befand. Dass die Erinnerung jährlich wiederkehrt, ist der Bedeutung des weltweit zwar nicht einmaligen, aber doch seltenen Ereignisses sicher angemessen und besonders in diesen heutigen Zeiten von besonderem Stellenwert. Es sind dennoch die geschichts- und quasi zeitlosen Themen und Gedankenebenen, die für mich wirklich prägend sind. Ich wage zu behaupten, dass das im Grunde für jeden Menschen so ist, wenn auch die meisten sich dessen nicht bewusst sind. Und so hoffe ich, zumindest ein Stück weit mein Bewusstsein von den zeitlosen Symbolen des Lebens, enggeführt an der Symbolik der Bäume, auch künftig kreativ verarbeiten und teilen zu können. Die Wunschbaum-Projekte sind seit einigen Jahren bewährte Mittel dafür. Dass sie selbst in so krassen Krisenzeiten wie diesen Resonanz finden, ist mir eine Bestätigung und vor allem ein Zeichen für die reale Bedeutung der zeitlosen Grundlagenthemen.

Neue Bewältigungsroutinen entwickeln

Es ist eine Mischung von vollständiger Abwesenheit der Projektpartner und hochgradiger Beanspruchung und Dringlichkeit bei einigen wenigen Projekten, die ich dieser Tage erlebe. Und das so kurz vor Weihnachten. Man kann wohl sagen, dass wir unvergleichliche Vorgänge und Stimmungslagen erleben, die vielleicht noch am ehesten dem nahekommen, was so gut wie niemand der heute Lebenden selbst noch erlebt hat. Situationen während der Weltfinanzkrisen und Inflationskrisen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts z. B. Das hat schon etwas Endzeitmäßiges, das nahezu jeden sprach- und ratlos macht, schon wegen der langen Dauer des Zustands und wegen des Fehlens durchschlagender Bewältigungsroutinen. Also muss man es irgendwie aushalten und sich einen Weg bahnen, der noch nicht bekannt ist. Auf der Verhaltensebene eine extrem beanspruchende Zeit, in der wir gerade leben. Ich bin sehr froh um meine konstanten Themen und die Gelegenheit, sie diskursiv und kreativ zu bearbeiten. Ein Vorzug meines Lebensthema „Bäume“.

Die Wiedervereinigung im Lebensweg

Auch wenn mir dieser gesetzliche Feiertag nicht so viel bedeutet, der 30. Jahrestag der Wiedervereinigung ist schon etwas Besonderes und auch Anlass, die eigene Biografie vor dem Hintergrund dieses historischen Vorgangs zu rekapitulieren. Anfang der Neunziger ist in meiner Erinnerung weitaus weniger historisch, als die Bilder der gedenkenden Berichterstattung vermuten ließen. Diese Bilder wirken heute auf mich wie aus einer anderen Zeit, damals wirkte die Zeit aber sehr frisch und modern auf mich, vielleicht war sie auch frisch und sogar frischer als heute. Mit Blick auf die heutigen Verhältnisse würde ich das fast behaupten wollen. Das Historische war mir damals nicht in der Form bewusst, wie es im Rückblick erscheint, auch wenn die Fahrt nach Berlin, kurz nach Öffnung der Mauern, ein interessantes Erlebnis für mich war, bei dem die Aura der DDR noch sehr präsent und allerorts spürbar war. Und auch die Erkundung zweier anderer neuer Bundesländer etwa 8 Jahre später haben mir einen plastischen Eindruck so mancher Umwälzungen im Leben der dort Ansässigen vermittelt, aus dem vieles, was an Problemen später zum Thema wurde, für mich ganz gut verständlich war. Bei all dem, was politisch und gesellschaftlich in diesen 30 Jahren an Veränderung und Anpassung zu beobachten war, im Zuge dessen wir uns alle mitverändert und in gewissen Grenzen angepasst haben, ist es das Baum-Thema geblieben, das mich durchgehend begleitet hat. Diese Basis-Thema war immer schon zeitlos und ganz unabhängig von Erfahrungen und Erlebnissen in anderen Lebensbereichen. Und es war immer schon eine Quelle für Ruhe, Reflexion und Ausgleich, wie wechselhaft und turbulent die Dinge drumherum sich auch entwickelt haben mochten. Das Baumtagebuch ist mir eine dauerhafte Praxis, die hilft das Gleichbleibende und Archetypische zu bewahren, in einer aufbauenden, die Entwicklung und die Wertschätzung des Lebens fördernden Form.

Winterthemen des kollektiven Gedächtnisses

Vielleicht ist es der schmuddelige Nicht-Winter, der das Gespräch immer wieder auf das Thema lenkt. Jedenfalls war es auch heute beim Besuch des Nachbarn wieder passend, die Geschehnisse rund um das Ende des zweiten Weltkriegs und die Verbrechen des damaligen Regimes zum Thema zu machen. Auch wenn es um eine Zeit geht, in dem die älteren der Gesprächspartner gerade erst wenige Jahre auf der Welt waren und insofern die Geschehnisse bewusst nicht erinnern. Eine Nähe zu den Lebensläufen der Vorfahren aber kommt dann eben doch zum Vorschein, und auch das Gefühl, dass ein Gespräch 75 Jahre danach seinen Wert nicht verloren hat, im Gegenteil vielleicht notwendiger und sinnvoller in diesen Tagen ist, wo selbst in Europa sich gesellschaftliche und politische Entwicklungen zeigen, die an lange Vergangenes Denken und Handeln erinnern. Es sind diese fröstelnd machenden Gespräche, die unseren Winter kennzeichnen, menschengemachte Bausteine des kollektiven Gedächtnisses, die den natürlichen Winter überlagern und uns innerlich beanspruchen, während sich die Bäume in ihr erdverwurzeltes Dasein zurückgezogen haben und den neuen Wachstumszyklus vorbereiten.

Winterliche Themen

Schon wieder rückt der Start der Holzofensaison in unbekannte Ferne. Denn es ist wiederum eine für die Jahreszeit erstaunliche Erwärmung vorhergesagt, die zwar Regen, aber schon beinahe frühlingshafte Temperaturen bringt. Wieder einmal alles völlig auf den Kopf gestellt. So werden unsere Brennholzvorräte so schnell noch nicht abgetragen werden. Winterlich sind dagegen die Themen, die uns im Zusammenhang der umfangreichen auch filmischen Berichterstattung anlässlich des runden Jahrestages der Befreiung des KZ Ausschwitz in der Familie und auch im näheren Bekanntenkreis beschäftigen. Das hat uns noch einmal deutlicher vor Augen geführt, wie bedeutungsvoll und auch relevant dieses Kapitel unserer deutschen Geschichte gerade heute noch ist. Wie sehr das Thema, diese historische Schwerlast, die kollektive Wahrnehmung nachfolgender Generation noch beeinflusst, die z. T. gar keine direkten z. B. verwandtschaftlichen Bezug mehr haben. Wie viel an zeitlos ernüchternder Menschenerfahrung ist doch in der deutschen Geschichte aufgehoben, und wie häufig blitzen in der heutigen Alltagskommunikationen Situationen, Reminiszenzen an jene Geisteshaltung und Einstellung auf, die ohne die zwischenzeitliche Erfahrung des Schlimmsten, so scheint es mir, auch heute noch in Abgründe münden könnten.

Historische Ereignisse

Ein historischer Gedenktag, der in den Medien schon seit Wochen berichtend avisiert wurde und natürlich jetzt besonders gefeiert wird. Es ist ein Ereignis mit durchschlagender Bedeutung für uns alle, hat aber auch seine autobiografischen Bedeutungen. Eine sehr anregende, herausfordernde und lernintensive Zeit war das für mich in der Anfangsphase meiner Studienzeit. Und eine, die ich damals anders, freudig überrascht, aber vielleicht nicht mit demselben historischen Blick wie heute wahrgenommen habe. Vieles ist eben erst mit zeitlichem Abstand und nach einer gewissen Lebenserfahrung einzuordnen – und verändert sich und seine Bedeutung im gleichen Zug. Der erdende Stellenwert der Natur, der Bäume, Wälder und Kulturlandschaft war zur Zeit der Maueröffnung für mich noch nicht so präsent und prägend wie 10 Jahr später. So gesehen war eigentlich diese Zeit für mich der Anfang einer Art Distanzierung vom Politischen und nicht etwa der Beginn einer Annäherung. Ich kann mir vorstellen, dass das für ehemalige DDR-Bürger ganz andere Impulse waren. Die gelebte Vorerfahrung ist eben für die Einschätzung auch historischer Ereignisse ganz wesentlich.

Historischer Sonntagsausflug

Dieser Ausflugstag hat uns zwar, wetterbedingt, nicht an diesen sagenhaften Ort in Frankreich gebracht, der schon allein durch seine ins Mittelalter zurückreihende Geschichte fasziniert. Aber die Alternative war auch nicht schlecht, nämlich die nahe gelegene, mit Sachkunde und Kreativität rekonstruierte römische Villa. Die hatten wir in den letzten 20 Jahren nicht mehr besucht. Und so war es spannend, die Veränderungen zu beobachten, die seither umgesetzt wurden. Und mit einer Führung auch gleich die regionalgeschichtlichen Kenntnisse aufzufrischen. Der Weg dorthin ist abenteuerlich, über verschlungene Feldwege bis zum Waldrand. Und tatsächlich hat der Führungsleiter darauf hingewiesen, dass die Villa quasi im heutigen Wald entdeckt wurde und deshalb am ursprünglichen Standort so vollständig ausgegraben und rekonstruiert werden konnte. Das darauffolgende Ausflugsziel hat uns von der Römerzeit dann doch noch ein Stück weit ins Mittelalter versetzt. In dem kleinen Städtchen jenseits der Landesgrenze ist die mittelalterliche Bausubstanz allerdings noch überall zu bewundern. Vielleicht einer der Gründe für die touristische Beliebtheit des Ortes, der auf engstem Raum viele Jahrhunderte zurückreichende Zeitreise ermöglicht.