Der Grad der Aufmerksamkeit, die sich auf bestimmte Motive richtet, spielt eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung überhaupt. In diesem Jahr z. B. sind mir viele Baumblüten schlicht entgangen. Die Robinien sind verblüht, bevor ich auch nur eine von ihnen aus der Nähe in Augenschein nehmen konnte. Und die Birnbaumblüte zu fotografieren werde ich wohl nie schaffen, weil es jedes Mal wieder zu spät ist, wenn ich daran denke. Da sind manchmal zu viele andere Dinge, die mich beschäftigen, und so tritt anderes in den Hintergrund. Das ist so eine Art Verdrängungsprozess, mal tritt dies, mal jenes in den Vordergrund. So schafft sich die Welt immer wieder neu, und immer wieder durch neue Brillen. Immerhin, mir scheint, dass ich im Schnitt gesehen heute wesentlich mehr wahrnehme als zur Zeit meiner Kindheit. Mehr auch im Äußeren, was bis zum Jugendalter nicht gerade zu meinen Stärken gehörte. Vielleicht wäre es auch geradezu unmenschlich, ständig alles gleichzeitig im Blick zu haben. Man wäre von Eindrücken und Gedanken erfüllt, ohne irgendetwas unterscheiden zu können. Und wenn ich die systemtheoretische Definition von Beobachtung nehme, nämlich das Erkennen eines Unterschiedes, so liegt es wohl in der Natur unserer Wahrnehmung, dass sie selektiv ist. Und in der Natur von uns Menschen, dass wir nach unserem Fall aus der Einheit das Ganze niemals mehr erkennen können.