Ich bin froh, erstmals in diesem Jahr mich wieder der Lektüre meiner letzten Erwerbungen von Schriften Rudolf Steiners widmen zu können. Zumindest an den Sonntagen ist das manchmal möglich, wenn der Berg anderweitiger Verpflichtungen abgearbeitet ist. Und da haben es mir vor allem die Beiträge, meist in Form von Vortragsmitschriften überliefert, zu den Fragen und Themenfeldern angetan, die sich um die Rolle der Kunst und der Ästhetik im Rahmen der anthroposophischen Anschauung von Mensch und Welt drehen. Dass es aus diesem Themenbereich mehr Beiträge von Steiner gibt, als man zunächst denken mag, verwundert mich nach der Lektüre seiner Biografie nicht mehr. Tatsächlich waren theoretische Fragen der Ästhetik und der direkte Kontakt mit Künstler/innen seiner Zeit wesentliche und intensive Erfahrungen seiner Kindheit und seiner Zeit als junger Erwachsener. Dass sich so frühe und intensive Beschäftigung in einem Erkenntnisvorsprung äußert, der im weiteren Verlauf des Aufbaus der anthroposophischen Lehre sich Bahnen brechen musst, ist wohl zu verstehen. Verblüffend allerdings ist es für mich immer aufs Neue zu lesen, wie vielfältig sich Rudolf Steiner gerade in seinen Vorträgen vor Lernenden und Suchenden am Goetheanum in Dornach, d. h. am Höhepunkt seines Schaffens und Wirkens, äußern und seine Gedanken ausbreiten konnte. Wie unendlich belesen und durchdringend er sich gezeigt hat. Dass niemals sich etwas genau wiederholt hat, sondern er es immer wieder geschafft hat, Themen in neue Kontexte zu stellen, neue Verknüpfungen und Querverbindungen, ganz neue Gedankenentwicklungen und komplexe inhaltliche Abhängigkeiten herzustellen. Gerade wenn es um Kunst geht, muss das für alle, die sich künstlerischem Ausdruck und Schaffen verbunden fühlen, eine Quelle der Inspiration sein. Kein Wunder also, dass auch namhafte Künstler ihr Werk u. a. unter dem Einfluss der Steinerschen Ideen entwickelt haben bzw. er so vielfältigen Einfluss auch auf die künstlerische Produktion entfalten konnte. Sehr gerne hätte ich die praktische künstlerische, d. h. bildhauerische, malerische, kunsthandwerkliche, architektonische, tänzerische und sprachkünstlerische Arbeit zur Lebenszeit Rudolf Steiners miterlebt. Vor allem natürlich die Entstehung des ersten Gotheanums in Dornach, dessen architektonisches Herz ein Kuppelhalle bildete, die auf hölzernen Säulen ruhten, die von Anhängern der Anthroposophie vor Ort aus unterschiedlichen Baum- bzw. Holzarten geschaffen wurden und die geisteswissenschaftlich einen Bezug zu dem herstellen, was die Anthroposophie zum Verhältnis zwischen Mensch und Kosmos und zwischen Bäumen und Planeten zu sagen hatte. Ein Thema, dem ich mich unbedingt doch noch näher widmen will, nachdem ein erster Ansatz dazu vor einigen Jahren aus Zeitmangel leider im Sande verlaufen war.