Neue Triebe

Während des Frühsommers zeigen die Bäume häufig einen zweiten Laubaustrieb. Man sieht dann sehr deutlich, wie sich die neuen Triebe von den bereits einige Wochen alten absetzen. Gestern konnte ich das beim Feldahorn beobachten. Bei diesem hatte es aber wohl noch einen anderen Grund: Der Großteil der Blätter ist derart von den Raupen zerfressen, dass die Bäume wohl so etwas wie eine Ausgleichsreaktion nötig haben, um die nur noch teilweise funktionierende Photosynthese neu anzukurbeln. Heute sind mir die Neutriebe vor allem bei den Hainbuchen aufgefallen. Nie zuvor hatte hatte ich bemerkt, wie deutlich sich die jungen, sich entfaltenden Blätter farblich von den älteren unterscheiden. Sie sind dunkelrot und scheinen sich erst später ins Grün zu wandeln. Vielleicht erfahre ich irgendwann einmal, wie dies zustande kommt bzw. warum die anderen Blattfarbstoffe zunächst dominieren.

Raupenfraß

Die Raupen scheinen in diesem Jahr tatsächlich ein Problem zu sein. Die Nachrichten zum Stichwort Bäume häufen sich, welche über die Raupenplage gerade an den Eichen berichten. Wie ich gelesen habe, kommt so etwas nur alle paar Jahr vor und dann kehrt sich das Gleichgewicht der Raupenpopulationen wieder ins Gegenteil. Tragisch ist es für solche Bäume, die es nicht mehr schaffen, neues Laub auszubilden. Die können tatsächlich eingehen, während es wohl für die meisten eher ein ästhetisches Problem darstellt, welches die Bäume, unter einem gewissen Stress zwar, aber dennoch ohne größere Probleme überleben. So hat jedes Jahr seine Besonderheiten, die den Eindruck der Jahreszeiten mitprägen. Möglicherweise wird sich das Licht-Grün dieses Sommers anders zeigen als in den Vorjahren, wenn die Transparenz der chlorophyllgetränkten Blätter durch Raupenfrass durchbrochen ist. Ich hoffe, dass wir wenigstens viel Licht bekommen und es nicht wieder so durchwachsen wird.

Weihnachten im Sommer

Die kurioseste Beobachtung beim heutigen Mittagsspaziergang war zweifellos die Lichterkette an einer Vorgarten-Fichte in D. Nicht dass sie gebrannt hätte, aber sie war eben noch um den Baum gewickelt und mit dem dahinter liegenden Haus über ein Kabel verbunden. Das hat mich an die Angewohnheit unserer früheren Nachbarn erinnert, den Lichterschlauch um den Treppenaufgang das ganze Jahr über zu belassen. Oder an meine andere immer wieder belustigende Marotte, den Weihnachtsbaum-Bildschirmschoner auch im Sommer noch eingeschaltet zu lassen. Das ergibt überraschende Assoziationen, die deutlich machen, wie präsent weihnachtliche Gefühle ganzjährig sind, und wie abhängig wir andererseits von der klimatischen Stimmigkeit zu sein scheinen.

Politischer Aufbruch und Konstanten des Alltags

Der jetzt doch nahende Sommer macht den Kopf freier. Wenn sich schon sonst nicht viel tut, muss der Ausgleich über die Atmosphäre geschehen. Vielleicht werden wir in den kommenden Monaten eine wirklich einschneidende Veränderung, ausgehend von den politischen Entwicklungen, in Deutschland erleben. Obwohl niemand weiß, wohin der Weg eigentlich führen könnte, scheint mir die vorgezogene Wahl ein gutes Mittel, überhaupt wieder etwas Vernünftiges in Gang zu setzen. Vielleicht wachen die führenden Politiker jetzt endgültig mal auf und fangen an, ihre Arbeit zu tun. Das muss einfach sein. Anders scheint mir unser politisches System als Ganzes in Gefahr, das sicherlich auch viele Vorzüge besitzt. Jetzt muss etwas geschehen, in das die Bürger wieder Vertrauen setzen können. Der Staat muss sich mit seinen Ansprüchen gegenüber den Bürgern viel deutlicher als in den letzten Jahren rechtfertigen. In der Möglichkeit zur Bewegung in diese Richtung sehe ich den Hauptnutzen des geplanten Links-Bündnisses, es wird, so es denn zustande kommt, Prozesse ins Rollen bringen, die längst überfällig sind. Das werden turbulente und sehr ernsthafte Zeiten. Ich wünsche allen Menschen, dass sie währenddessen das Konstante nicht missen müssen. Das dynamische Konstante, wie es uns zum Beispiel die Bäume in besonders überzeugender Form vorleben.

Spiegel und Facetten des Selbst

Menschen, die mich nur von meiner Internet-Präsentation her kennen, mögen mich für einen Wald-Menschen, weltfremden Naturmystiker oder aber für einen geschickten Kunsthandwerker halten. Keines dieser Bilder würde ich zur Selbstbeschreibung verwenden. Tatsächlich unterscheidet sich mein Alltag und mein ganzer Lebenshintergrund erheblich von solchen Vorstellungen. Umso spannender finde ich es, wenn ich mit Einschätzungen dieser Art konfrontiert werde. Was als kleiner Charakterauszug erscheinen mag, bekommt in dem Moment eine eigenständige, isolierte Wirklichkeit. Und wenn ich darüber nachdenke, merke ich, dass es eben doch zu mir gehört. Nicht ausschließlich, nicht allein prägend, aber doch eine Facette darstellend. Und ich fühle mich dann ganz wohl in diesem Spiegel, es hilft mir, die jeweilige Facette näher zu beleuchten, zu sehen, wie ausgeprägt sie zurzeit und überhaupt ist. Und was daran sich weiterentwickeln könnte. Eines aber sei allen Besuchern der Seite und allen Lesern dieses Tagebuchs versichert: Die Bäume nehmen ganz sicher ein ganz zentrale Rolle in meinem Leben ein.

Tauf-Baum

Die Idee, einem Kind zur Taufe einen Lebensbaum zu schenken, finde ich sehr schön. Bisher war mir nur der Brauch bekannt, anlässlich der Geburt einen Lebensbaum zu pflanzen. Mit dem Ereignis der Taufe erhält die Geste einen zusätzlichen inhaltlichen Aspekt. In diesem Fall ist das Kind 6 Monate alt und die Angehörigen wollen ihm den Baum, einen Nussbaum schenken, und – eine große Ehre für mich – eins meiner Lebensbaum-Armbänder aus dem Holz des Nussbaums an den Baum binden. Eventuell ergänzt durch gute Wünsche der Gäste der Tauffeier. Tauf-, Lebens- und Wunschbaum-Baum also in einem. Ich wünsche dem Kind, dass die guten Wünsche seiner erwachsenen Angehörigen es von Anfang an begleiten werden und dass die verstärkenden Symbole zum Sich-Entfalten und Gelingen der Wünsche beitragen.

Selektivität und Ganzheit

Der Grad der Aufmerksamkeit, die sich auf bestimmte Motive richtet, spielt eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung überhaupt. In diesem Jahr z. B. sind mir viele Baumblüten schlicht entgangen. Die Robinien sind verblüht, bevor ich auch nur eine von ihnen aus der Nähe in Augenschein nehmen konnte. Und die Birnbaumblüte zu fotografieren werde ich wohl nie schaffen, weil es jedes Mal wieder zu spät ist, wenn ich daran denke. Da sind manchmal zu viele andere Dinge, die mich beschäftigen, und so tritt anderes in den Hintergrund. Das ist so eine Art Verdrängungsprozess, mal tritt dies, mal jenes in den Vordergrund. So schafft sich die Welt immer wieder neu, und immer wieder durch neue Brillen. Immerhin, mir scheint, dass ich im Schnitt gesehen heute wesentlich mehr wahrnehme als zur Zeit meiner Kindheit. Mehr auch im Äußeren, was bis zum Jugendalter nicht gerade zu meinen Stärken gehörte. Vielleicht wäre es auch geradezu unmenschlich, ständig alles gleichzeitig im Blick zu haben. Man wäre von Eindrücken und Gedanken erfüllt, ohne irgendetwas unterscheiden zu können. Und wenn ich die systemtheoretische Definition von Beobachtung nehme, nämlich das Erkennen eines Unterschiedes, so liegt es wohl in der Natur unserer Wahrnehmung, dass sie selektiv ist. Und in der Natur von uns Menschen, dass wir nach unserem Fall aus der Einheit das Ganze niemals mehr erkennen können.

Flow und Selbstverständlichkeit

Ich bewundere manchen Autor, häufig sind es die, die ganz bescheiden und unauffällig daherkommen. Und in deren Texten man eine ausgereifte Erfahrung, ein immenses nicht nur angelesenes, sondern auch spürbar erlebtes Wissen über Bäume erkennen kann. Ich wünsche mir sehr, dass irgendwann einmal Leser meiner Baum-Texte ähnliches über mich denken. Wahrscheinlich ist es mit den Baum-Texten wie mit den Bäumen selber. Ihre Tiefe und Ausstrahlung wächst mit der Erfahrung und der Lebenszeit. Insofern sehe ich darin ein Ziel, an dessen Erreichen ich beständig arbeiten kann. Auf alles, was auf diesem nicht immer geradlinigen Weg, ,,herausfließt“, so möchte ich es nennen, freue ich mich ganz besonders. Dieses hat weitaus mehr Wert als das systematisch Verfolgte und Angestrebte. Es sind die in den richtigen Lebenslagen wie selbstverständlich entstehenden Texte, welche für mich die größte Bedeutung haben und die gleichzeitig das Zeug haben, ernst genommen zu werden.

Welches Obst gibt’s dieses Jahr?

Zumindest die Kirschen im Garten der Nachbarn scheinen dieses Jahr zu reifen. Auch die beiden Bäume in D. tragen Früchte. Andernorts aber sollen die Obstbäume in diesem Jahr wieder stark in Mitleidenschaft gezogen sein. Wie es scheint, kommt der Frost seit Jahren zur falschen Zeit. Was reichlich vorhanden ist: Der Holunder blüht derzeit wunderbar. Auch der Schlehdorn scheint nach zweijähriger Abstinenz jetzt wieder dicke Beeren zu tragen. Die Blüte der Weinrebe hat ebenfalls keine Probleme. Kurz und gut: Früchte, Saft und vielleicht auch Hochprozentiges werden im Herbst zum Thema, zumindest für die selteneren Sorten. Auf Äpfel und Birnen müssen wir aber wohl in größeren Mengen verzichten.

Zur intuitiven Sicht der Bäume

Bei der Frage, welche Bedeutung die Bäume für das Leben der Menschen haben, führt die rein ,,wissenschaftliche“ Betrachtung allein nicht weit genug. Mit wissenschaftlich meine ich auch historische Betrachtungen zu Brauchtum und politischen Implikationen sowie mythologische Forschungen. Der intuitive Zugang zu Bäumen und Pflanzen allgemein ist ebenso wichtig. Wie wirkt eine bestimmte Baumart auf die Menschen? Welche Empfindungen und Wahrnehmungen haben Menschen in der Begegnung mit und in der Nähe von Bäumen? Die Beiträge zu diesem Feld sind recht häufig, leider aber auch häufig wenig überzeugend, wenn der Eindruck überwiegt, der Autor habe mangelnde Inhaltskenntnis oder nachlässige Recherche durch rein subjektive Betrachtungen zu kompensieren versucht. Vielleicht gelingt es mir, später einmal eine Lücke in diesem Bereich zu schließen. Denn der intuitive Zugang zu den Bäumen ist mir selber gut vertraut. Gleichzeitig wächst mein Überblick über die einschlägige Literatur rund um die Symbolik der Bäume. Es wäre schön, wenn ich beides einmal integrieren könnte zu einer intuitiven Betrachtung der Bäume, die wirklich überzeugend wirkt und rein subjektive Elemente als solche deutlich unterscheidbar macht.

Menschen sind anders

Die extrem wechselhafte Witterung macht mir schwer zu schaffen. Ich merke heute wieder sehr deutlich, wie wetterfühlig ich doch bin. Woher der Schwindel kommt, der mich den ganzen Tag ans Bett fesselt, ist mir dennoch nicht klar. Da ist einem alles egal, sogar das Reflektieren über die Bäume. Vielleicht geht das den Bäumen genauso: Wenn es eine Art Kommunikation zwischen ihnen und den Menschen gibt, dann wird deren Aufmerksamkeit gelegentlich auch auf sie selber gerichtet sein und nicht auf die Lebewesen ihrer Umwelt. Dass ich diese Zeilen dennoch festhalte, ist eine der Eigenschaften, die mich als Mensch von den Bäumen unterscheiden.

Über Efeu und anderes

Es hatte eine ziemlich lange Lieferfrist, aber nun steht es in meinem Arbeitszimmer: das vor Monaten bestellte Glasregal, welches tatsächlich ganz aus Glas besteht. Die Seitenelemente und die Böden sind unsichtbar miteinander verklebt. Unten ruht es auf vier Rollen, so dass es trotz seiner 90 kg Gewicht ganz gut bewegt werden kann. Ich freue mich, es heute endlich eingeräumt zu haben. Wie geplant ausschließlich Baum-Bücher – und einige Objekte aus Glas sowie andere, die in inhaltlicher Verbindung zur Transparenz und Lichte des Glases stehen. Ganz sicher wird es mir noch viel Freude machen, zumal der Vorgang des Sortierens und Anordnens noch lange nicht abgeschlossen ist, und sicher auch kontinuierlich sich fortsetzen wird. Nach dem Besuch in Trier, haben wir noch einige Stunden im Garten gearbeitet. Der Efeu um die Grotte hatte wieder seine Form verloren und musste geschnitten werden, eine Korrekturmaßnahme, die sicherlich im Laufe des Sommers noch 2-3 Mal wiederholt werden wird, weil er erfahrungsgemäß bei der Sonne gar nicht mehr aufhören will, neue Triebe zu bilden. Es stört eben das Gesamtbild, und außerdem droht er regelmäßig die Weinreben mit seinen Haftwurzeln zu erklettern und teilweise zu umschlingen, was diesen sicherlich nicht bekommen würde. Zumal V. an der anderen Seite einige Stränge ganz entfernen musste, da sie abgestorben waren. Bei der Gelegenheit ist mir die Weinstockblüte aufgefallen bzw., dass diese in meiner Sammlung noch fehlt. Leider haben sich die Blüten mit wenigen Ausnahmen noch nicht geöffnet. Ich werden den richtigen Zeitpunkt abpassen und hoffe, es wird mir gelingen, diese sehr filigranen Blütengebilde einigermaßen eindrücklich im Foto festzuhalten.

Tag der Gegensätze

Ein Tag voll klimatischer Gegensätze. Bis zum Nachmittag konnte man den Sommer wirklich schmecken. An der Atmosphäre, der daraus resultierenden Stimmung der Menschen, dem Licht und der zwischen Wohlgefühl und schwülem Unbehagen schwankenden Temperatur. Um die Mittagszeit sind mir eine Reihe guter Blütenfotografien gelungen, solche, die nur bei wirklich strahlendem Sommerlicht möglich sind. Heute abend aber das große Unwetter mit sturzflutartigem Regen und Hagel. Da muss man nicht nur um die gerade erst gesetzten und angewachsenen Blumen bangen, sondern auch um die Bäume und ihre zurzeit so strahlend sich präsentierenden Blüten. Ich hoffe, wir alle kommen noch glimpflich davon und können einem ruhigen, wenn auch etwas abgekühlten Wochenende entgegen sehen.

Und noch einmal der Tulpenbaum

Ich bin derart begeistert von dieser Blüte, dass ich nicht umhin komme, sie bei verschiedenem Licht und unterschiedlichen Perspektiven zu fotografieren. Hier sind also zwei weitere Aufnahmen, die etwas deutlicher machen, warum man den Baum nach der Tulpe benannt hat:

Tulpenbaum-Blüte

Tulpenbaum-Blüte

Und noch eine Beobachtung. Die Holunderblüte bildet wunderschöne Transparenzen, die das Geschlossene der Schirme mit Kleinteiligkeit und dem Blick auf Hintergründe verbinden:

Holunder-Blüte

Persönliches Baumtagebuch von Bernhard Lux: Täglich begegne ich den Bäumen auf vielfältigen Wegen. An ihrem jeweiligen Standort in der Natur, in der Lektüre von Baum- und anderer Literatur, in der alltäglichen Reflexion, der handwerklichen Arbeit und im Gespräch mit der Familie oder Freunden und Kollegen. Es ist mir ein Bedürfnis, diese themenbezogenen Beobachtungen, Interaktionen und Kommunikationen in Form des Baumtagebuchs zu dokumentieren. Seit dem 20. November 2004 habe ich keinen einzigen Tag ausgelassen – ein Zeichen dafür, dass das Baumthema und der Baum als Archetypus tatsächlich im Alltagsleben verankert ist und vielfältige inhaltliche Assoziationen ermöglicht. So mag dieses Baumtagebuch jeden seiner Leser/innen auf die Spur einer je eigenen Beziehung zu den Bäumen führen.