Ein abwesender Tag, einmal ohne Bäume

Dieser Tag hatte einen eigentümlich abwesenden Charakter. Der Tag an sich und vor allem ich, der ich nicht so richtig zu mir kommen wollte. Ich hoffe, das ändert sich schnell. Aber gerade an solchen Tagen, die die Routine unterbrechen, kommen manchmal ungewöhnliche Gedanken und Themen zum Vorschein. In diesem Fall war es die Frage, wo Ms Vater, mein Opa, den ich nie kennengelernt habe, im 2. Weltkrieg gefallen ist. Und im Zusammenhang damit der Wunsch Ms, diesen Ort selber einmal aufzusuchen. Im Kaukasus, so heißt es, sei dieser Ort zu finden, und es ist auch ein Ortsname bekannt, der aber in dieser Schreibweise heute nicht mehr gültig ist und in ähnlicher Schreibweise gleich vier Mal vorkommt, darunter nur einmal in Russland und mehrmals in anderen Republiken, wie der Ukraine. Nun ist also zunächst unklar, wo sein Grab genau gefunden werden kann und wir werden über die Deutsche Kriegsgräberfürsorge versuchen, Näheres heraus zu finden. Ich wünsche es M. sehr, dass sie darüber Gewissheit gewinnt, und dass sie sich ihren Wunsch auch erfüllen kann. Ich will mich bemühen, sie dabei zu unterstützen, so gut es geht. Denn ,,Heimatsuche“, wenn auch in einem abstrakteren Sinne, ist auch für mich ein Thema, dieses Gefühl, noch nicht angekommen zu sein, von etwas Wichtigem abgeschnitten zu sein. Für M. war das besonders schlimm, da sie einige Jahre später auch noch ihre Mutter verloren hatte, ein Verlust, der nie mehr zu ersetzen ist. Und auch ich bedauere sehr, die beiden Großeltern nicht erlebt zu haben. Wer weiß, wie das unser aller Leben beeinflusst hätte. Zu meinen sonstigen Verwandten verbindet mich nämlich nicht allzu viel. Möglicherweise ist diese Gräbersuche für uns ein Weg, Verlorenes und nie wirklich Erlebtes zumindest symbolisch zurückzuholen.

Der Baum als Symbol der Beständigkeit

In dem Café, in dem Frau M. jetzt arbeitet und das wir heute einmal besucht haben, wird zurzeit eine Ausstellung mit Aktmalereien einer saarländischen Künstlerin gezeigt. Die sind so ,,stimmig“ zur Inneneinrichtung, dass man versucht ist, sie als ,,Baumhaus-Dekoration“ einzuordnen, auch wenn das dem Niveau und dem Anspruch der Künstlerin möglicherweise nicht gerecht wird. Aber die Auswahl des Settings ist eben miteinscheidend für die Rezeption. Ein Bild stach deutlich von dieser an den Wänden platzierten Reihe ab. Ein reliefartig mit stark pastosem Farbauftrag versehenes Bild, das auf dem Boden stand und sehr plastisch einen Baum in Szene setzte. Auf den ersten Blick hätte ich gesagt: kitschig. Und doch hat mich das Motiv allein gewissermaßen besänftigt und, wie so häufig bei eigentlich kitschigen Dingen, konnte ich in ihm dann durchaus eine ästhetische Eigenständigkeit wahrnehmen, die in der Atmosphäre und der besonderen Situation, dem Wiedersehen mit einer ehemaligen Arbeitskollegin, einen runden Eindruck ergab. Der Baum als Heimatsymbol oder als Symbol der Beständigkeit bei gleichzeitiger Weiterentwicklung? Die Symbolik der Bäume ist eben vielschichtig und so universal in uns verankert, dass sie sogar in solchen Alltagssituation einen Zauber zu erzeugen vermag. Jedenfalls für den, die sie zu lesen weiß und unter die Oberfläche zu blicken vermag.

Unvorhersehbarkeit ist Regel geworden

Auch der Efeu kommt in diesem Jahr nicht so richtig in die Gänge. Die Blüte jedenfalls fällt ausnahmsweise sehr unauffällig aus, fast unbemerkt, was in den Vorjahren gänzlich anders war. Verrückt, wie unterschiedlich die Pflanzen sich entwickeln, je nach Witterungsverläufen, Durchschnittstemperaturen und der jeweiligen Ausprägung der Jahreszeiten. Die frühere Beobachtung hat sich auch 2008 bestätigt. Dass nämlich die Jahreszeiten tendenziell ihre Abgrenzung verlieren. Natürlich, dieser Sommer war phasenweise auch sommerlich, aber das durchgängige ,,Mokka-Klima“, wie ich es als Kind gerne genannt habe – damit meinte ich ein ganz bestimmtes hochsommerliches Klima – gibt es heute gar nicht mehr. Es ist einer Kontinuität des Unerwartbaren gewichen. Damit liegen Klima und Wetter auf derselben Ebene wie die sozialen, kulturellen und moralischen Dimensionen. Die Unvorhersehbarkeit bei gleichzeitig ausgeuferter Vielfältigkeit und Vernetzung ist eines der charakteristischsten Settings unserer Lebenswelt geworden.

Mehr Zeit für Sprache

Erst jetzt ist mir das Alverde-Heft für August in die Hände gefallen. Ich genieße es jedes Mal, besonders, aber nicht nur wegen der a tempo – Einlage. Es sind vor allem die Themen und die unaufgeregte Art der Darstellung, die mich interessieren. Da werden meist weite Bögen gespannt, wenn man die Reihe der Beiträge betrachtet. Und doch ist jeder Beitrag schön fokussiert und offenbart in dieser klaren thematischen Begrenzung oft überraschende Perspektiven. Das zweite ist die Sprache, die von lockerer Werbesprache bei produktbezogenen Artikeln bis zu philosophischer Sprache reicht, die meist abstraktere Sujets mit psychologischem, gesellschaftstheoretischem oder soziologischem Inhalt in Form bringt. Es wird in Zukunft wieder wichtiger für mich sein, die verschiedenen Formen des Sprachgebrauchs in professioneller Kommunikation aufmerksam zu beobachten. Einfach um selber ein breites Spektrum bereit halten zu können. Das kann dann in Baum-Texte einfließen. Sicherlich aber auch in sachbezogene Texte aus anderen Feldern, die ich im Auftrag in Werbung- und Marketingkampagnen einbringe.

Spaziergänge mit Nachwirkung

Während der Woche sind mir die schönen Eindrücke von rot leuchtenden Strauchfrüchten und sattgrünen Wiesen meist vorenthalten. Dem begegne ich oft nur während der ,,Tankphasen“ der Wochenendspaziergänge. Während der dreieinhalb Jahr in B. und der sieben Jahre in D. war das anders. Da war der Mittagsspaziergang selbstverständlicher Bestandteil des Arbeitstages. Auch wenn er nur ein halbe Stunde dauerte, er gehörte dazu. Um den Kopf frei zu machen nach ununterbrochener Schreibtischarbeit und anstrengender Kunden- oder Kollegenkommunikation, war das genau die richtige Lösung. Vor allem in D. habe ich später die Zeit gleichzeitig zum Fotografieren der vielen Stadtbäume und ihrer Blätter, Blüten, Früchte und Rinden genutzt. Eine Zeit, in der die besten Aufnahmen überhaupt entstanden sind, denn im innerstädtischen Umfeld mit seinen Parkstreifen und Vorgärten lässt sich Natur, enggeführt am Beispiel der Bäume, am allerbesten studieren und eindrucksvoll festhalten. Wenn es etwas ist, das ich aus dieser Zeit vermisse, dann sind es diese kurzen Spaziergänge auf immer gleichen Wegen, die dennoch auch nach Jahren nie langweilig wurden. Im Gegenteil, die im Wechsel der Jahreszeiten, abhängig von Stimmungen und Witterungen, eine schier unendliche Variationsbreite an Erscheinungen offenbarten. Eine Bereicherung, die nachwirkt, bis auf den heutigen Tag.

Beitrag zu Natur und Mythos

Es ist ein Buch, das unter dem Titel „Diktynna. Jahrbuch für Natur und Mythos“ demnächst in der Edition ARNSHAUGK erscheinen wird. Eine der treibenden Kräfte des Projekts hat mich eingeladen, einen Beitrag beizusteuern. Ganz klar ist noch nicht, welcher es sein wird, aber immerhin stehen zwei in engerer Wahl: ,,Lebensbaum und Lebenslauf“ sowie ,,Bäume als Spiegel. Über ein Lebenssymbol“. Ich finde, beide passen auf das Thema des Jahrbuchs, letztlich aber wird wohl die konzeptionelle Ausrichtung des Bandes entscheiden, welcher abgedruckt wird. Und vielleicht sind es ja sogar beide. Ich bin sehr gespannt und freue mich darauf, denn das Thema liegt mir sehr am Herzen. Und es in einem erweiterten Themenrahmen zu präsentieren, ist doch eine anregende Sache.

Konkurrenz der Früchte

Bevor der Regen am Abend kam, konnte ich auf einem schwül-warmen Spaziergang erstmals für dieses Jahr die Pfaffenhütchen bewundern. Bisher waren sie grau und unscheinbar, kein Vergleich zu den Vorjahren. Jetzt aber, vermutlich begünstigt durch das feuchte Spätsommerklima, zeigen sie sich mit frischem Laub und neuen Früchten, die zumindest teilweise dieses wunderbare Rosarot offenbaren, das neben der charakteristischen Form ihre unwahrscheinliche Ausstrahlung ausmacht. Sie konkurrieren mit den Hagebutten der zahlreichen Heckenrosensträucher um die Gunst des Betrachters – und gewinnen vermutlich bei denen, die genauer Hinsehen. Das wird ein satter Fruchtherbst, an dem wir hoffentlich noch viel Freude haben werden.

Fruchtzeiten

Meine reichhaltige Sammlung von Hölzern hat heute eine Erweiterung erfahren. Das Holz des Mirabellenbaums gehört sicherlich zu nicht ganz so häufig vorzufindenden. Auch weil die Bäume meist nicht so groß werden und entsprechend schmale Stämme eher normal sind. Dieser war besonders schmal, kein Wunder, der Baum musste sein junges Leben der Gier eines Nagers opfern, der seine Wurzelrinde vollständig abgenagt und ihm somit seinen Lebenssaft entzogen hatte. Auch die Rinde und die äußeren Splintholzlagen waren schon vom Wurm stark befallen, d. h. überlebt hätte er unter keinen Umständen mehr. So ist die Nutzung seines Holzes sicherlich das beste Los, was ihn noch erwarten konnte. Und ich muss sagen, es gefällt mir gut. Natürlich ist es dem Apfelbaum-, Birnbaum-, Kirschbaum und Zwetschgenbaumholz ähnlich, aber die Färbung gibt ihm doch eine individuelle Note, von der ich hoffe, sie wird sich auch im getrockneten Zustand und in Form der kleinen Perlen verarbeitet noch identifizieren lassen. Dann stünde eigentlich einem Themenarmband ,,Fruchtzeiten“ nicht mehr entgegen. Das könnte bestehen aus: Apfel, Birne, Zwetschge, Kirsche, Mirabelle, Quitte, Mispel. Die letzten beiden müsste ich vorher allerdings noch besorgen.

Die Nachfolgerin des Wacholder

Die kleine Zypresse hat den früheren Wacholder im Sandsteintrog vor dem Haus gut ersetzt. Obwohl es mir immer noch sehr leid tut, dass er sich nach einigen guten Jahren zuletzt nicht mehr wohl gefühlt hat und schließlich eingegangen ist. Als ,,Wachhalter“ hätte er doch wirklich einen Stammplatz dort direkt am Haus verdient gehabt, aber das sollte wohl nicht sein. Die Zypresse ist irgendwie harmloser, hat für mich nicht diese starke symbolische Ausstrahlung. Und dennoch, sie steht wie verschiedene andere immergrüne Bäume für Hoffnung, Auferstehung, Erneuerung, mit oder auch ohne die Assoziation Tod. Wenn sie mit dem Tod in Verbindung gebracht wird, wie im Umfeld von Friedhöfen, dann doch immer im positiven, transzendierenden Sinne. Deshalb bin ich insgesamt mit ihrer Nachfolgerrolle zufrieden und hoffe, dass sie sich sehr lange dort hält.

Bäume und andere Herausforderungen

Heute habe ich einen netten Brief erhalten, in dem mich ein Schriftsteller aus München einlädt, mich an einem demnächst erscheinenden Jahrbuch zum Thema ,,Natur und Mythos“ zu beteiligen. Anlass waren wohl meine Texte unter wunschbaum.de, insbesondere die über die Feiertagsbäume, die sein Interesse auf sich gezogen haben. So etwas finde ich doch sehr interessant. Deshalb will ich auch überlegen, ob ich etwas beitragen kann, jedenfalls wenn die Zeit es zulässt. Ansonsten habe ich einige erfreuliche ,,Auflösungen“ nerviger Probleme erlebt, was erheblich zu meiner Beruhigung beigetragen hat. So gerate ich auch in diesen Dingen zunehmend in sichereres Fahrwasser. Darauf aufbauend dann Spezialprobleme anzugehen, ist immer spannend. Aber die Grundlagen zu erarbeiten bleibt eine große Herausforderung. Noch einige solcher Aufgaben, und nahezu nichts kann mich mehr schrecken.

Aktivismus ist nicht mein Ding

Eine Tierschutzorganisation wollte mich heute in der Fußgängerzone als neues Mitglied gewinnen, das sich engagiert gegen Tierquälerei und für neue Gesetze einsetzt, die Quälerei an Tieren unter deutlich höhere Strafe stellt. Ich habe mir das Anliegen angehört, kann es auch unterstützen. Dennoch bin ich nicht der geeignete Kandidat hierfür. J. wäre da sicherlich die bessere Adresse. Ich denke, dass ich mir andere Felder gesucht habe und in Zukunft sicherlich noch suchen werde, die von nicht weniger Engagement zeugen, mir aber eher entsprechen, z. B. im Bereich des Klimaschutzes oder ähnlichem. Ich denke auch, dass meine Arbeit an der Symbolik der Bäume hierzu einen indirekten Beitrag leistet, im Sinne einer allgemeinen Bewusstseinsförderung. Das Aktivistische dagegen ist nicht so mein Ding, da können sich andere besser einbringen.

Feigensommer

Die Feigen wollen einfach nicht reif werden. Das ist schon seltsam, jetzt Ende August. Dabei sind die Temperaturen doch ganz passabel. Es scheint so, als ob sie bei dem selben Reifegrad und derselben Größe verharren, schon seit Wochen. Ich wünsche M., dass sie in diesem Sommer noch etwas von ihren Lebensbaum-Früchten haben wird. Und nicht erst im Herbst, wenn kein Mensch mehr an Südfrüchte denkt. Dann werden sie ohnehin schon bald abfallen, bevor sie richtig ausgereift sind. Also, jetzt muss ein kräftiges Dauerhoch her, und der Obstsommer ist gerettet.

Weihnachtsgehölze?

Das Weihnachts-Armband würde ich doch noch gerne realisieren. Zu weiteren Themenarmbändern werde ich aber wohl in diesem Jahr nicht mehr kommen. Was würde dazugehören? Es ist nicht so ganz einfach. Einerseits fallen mir viele Pflanzen ein, die traditionell mit Weihnacht und Advent in Verbindung gebracht werden. Andererseits sind das nicht alles Bäume. Also, was unbedingt dazugehört: Tanne, Fichte, Stechpalme. Außerdem möglich: Zypresse, Kiefer, Eibe, Lärche. Na das sind ja schon 7, würde ganz gut passen, so könnte ich eine Reihe von 3 X 7 unterschiedlichen Perlen zusammenstellen, was sicherlich sehr dekorativ wirken wird.

Wir brauchen noch Licht

Ein verschlafener Tag, an dem bei mir keine rechte Stimmung aufkommen wollte. Die Klimakapriolen, häufig unzufriedenstellende Kommunikationen, vieles das ich nicht verstehe waren wohl für diesen Zustand verantwortlich. Ich setze darauf, dass Mitte kommender Woche der Sommer zurückkommt, denn ich brauche jetzt das Licht, auch die Wärme, ebenso wie die Bäume dies ganz gut vertragen könnten, bevor der Herbst ihre Lebensgeister schrittweise herunterschraubt. Nein, das ging einfach jetzt zu schnell, wir brauchen einfach mehrere Wochen ,,Indian Summer“, nur so kann das Jahr einen einigermaßen runden Verlauf erhalten. Einmal ganz davon abgesehen, dass das Arbeiten im Freien, und die Aufenthalte in der Natur mit dem Licht an Intensität und Erlebnisqualität gewinnen.

Persönliches Baumtagebuch von Bernhard Lux: Täglich begegne ich den Bäumen auf vielfältigen Wegen. An ihrem jeweiligen Standort in der Natur, in der Lektüre von Baum- und anderer Literatur, in der alltäglichen Reflexion, der handwerklichen Arbeit und im Gespräch mit der Familie oder Freunden und Kollegen. Es ist mir ein Bedürfnis, diese themenbezogenen Beobachtungen, Interaktionen und Kommunikationen in Form des Baumtagebuchs zu dokumentieren. Seit dem 20. November 2004 habe ich keinen einzigen Tag ausgelassen – ein Zeichen dafür, dass das Baumthema und der Baum als Archetypus tatsächlich im Alltagsleben verankert ist und vielfältige inhaltliche Assoziationen ermöglicht. So mag dieses Baumtagebuch jeden seiner Leser/innen auf die Spur einer je eigenen Beziehung zu den Bäumen führen.