Rückzugsgedanken

Bei den Blumen weiß man nicht so genau, ob man sie genau so intensiv gießen soll wie den Sommer über, oder ob ihnen die Feuchtigkeit wegen der Nachfröste doch eher schadet. Zumindest der Wandelröschenstock hat heute jedenfalls sehr die Blätter hängen lassen. Es scheint, er ist erschrocken angesichts des fast winterlich anmutenden Temperaturabsturzes. Eine weitere Verrücktheit in diesem durchweg unberechenbaren Wetterjahr. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir im letzen Jahrzehnt keinen Indian Summer hatten. Die zweite und dritte Septemberwoche, manchmal auch schon die erste und später noch die letzte Woche des Monats September waren immer von dieser einmaligen spätsommerlichen und doch schon an Herbst erinnernden Wärme gekennzeichnet. Diese besondere Wärme, die wohl jeder schon einmal erlebt hat, bildet zusammen mit dem rotbraungoldenen Herbstlaub das typische Herbst-Feeling. Bei diesen Erscheinungen weiß jeder: Wir können uns jetzt auf die letzten warmen Tage freuen, bald fallen die Blätter, die gerade dabei sind, ihr Chlorophyll aufzulösen, wodurch die roten Blattfarbbestandteile hervortreten und die Blätter gleichzeitig brüchig machen. Und wenn sie nach diesen meist gemütlich wirkenden Tagen alle heruntergerfallen sind, dann ist eben Winter. Dann stehen die Bäume in ihrem reinen Stamm-Äste-Gerüst vor uns, und wir selber sehen uns geneigt, uns zurückzuziehen. In uns selber meist, in den engeren Kreis der Familie und Freunde. Und diese Entwicklung geht weiter bis zum Tag der größten Dunkelheit, der auch gleichzeitig die Wende markiert und den Aufbruch ins neue Jahr signalisiert. Man glaubt es kaum, aber tatsächlich: Weihnachten ist in spürbarer Nähe.

Holz und die wärmere Jahreszeit

Kaum Zeit, einen Fuß vor die Tür zu setzen. Am Abend hat W. seine Holzauflagen für die Hollywoodschaukel eingeladen und wird sie mit nach G. nehmen. V. hat sie vor einigen Wochen aus Eichenbrettern neu angefertigt und anschließend mit einem Öl gestrichen. Sieht gut aus, und wird vermutlich lange halten, ohne dass der Regen ihnen etwas anhaben kann. Eiche eignet sich dafür eben sehr gut. J. meinte nur, V. hätte sich doch nicht so beeilen müssen mit dieser Arbeit, jetzt wo der Winter naht und ohnehin niemand mehr die Möglichkeit, die Schaukel zu nutzen. Aber ihm geht es eben mir, während des Sommers macht solche Arbeit mehr Spaß. Holzarbeit ist Arbeit für die wärmere Jahreszeit.

Zeit entschleunigen

Ein intensiver Arbeitstag, der mich kaum vom Bildschirm weggeführt hat. Immerhin, der erste Schub des diesjährigen Rotweins ist bereits eingekellert. V. hat die Maische heute früh schon gekeltert, am Vormittag dann haben wir das große Fass mit vors Haus geschoben und mit der kurzen Schlauchleitung dann alles in die Kellerbehältnisse umgefüllt. Was noch fehlt, ist es Ertrag der Weinstöcke, die ums Bienenhaus herum wachsen. Das sind eine Menge, und so werden die 200 Liter sicherlich letztlich auf annähernd 400 anwachsen, zumal auch hier bei uns noch weiße Trauben wachsen, die für die Lese noch zu unreif waren. Da kommt also noch einiges nach. Ja, und die Apfelernte steht auch noch aus. Ich schätze allerdings, dass ich dieses Jahr nicht allzu viel davon mitverfolgen kann. Die Zeit scheint mir davon zu laufen. Ich glaube, wie M. gestern auch noch mal angemerkt hat, die Lebenszeit vergeht tatsächlich schneller als früher, es ist nicht nur eine Frage der ,,subjektiven Zeit“ im Sinne Bergsons. Wir leben in einer irgendwie beschleunigten Zeit. Vielleicht hängt das ja mit der stetig wachsenden Anzahl von Möglichkeiten zusammen, die immer mehr (Zeit-)Aufwand produziert, wenn wir versuchen, das richtige zu wählen und weiter zu verfolgen. Meine Baumreflexionen und -beobachtungen haben u. a. diesen Sinn: Die Zeit zeitweise zu entschleunigen, um sie wieder bewusster und gewinnbringender wahrnehmen zu können.

Herbststrukturen

Das Licht an diesem schönen Septembertag musste ich einfach auskosten, nach tagelangem Dauerregen und dieser enormen Dunkelheit, die schon eher an den tiefsten Winter, mindestens aber an Novemberwitterung erinnern ließ. Der Spaziergang verlief nicht sehr weit, nur etwa die Hälfte meiner üblichen ,,Saarstrecke“, aber dafür mit vielen Eindrücken, in denen sich mir die frühherbstliche Vegetation offenbarte. Jetzt kommen sie doch noch, viel später als im Vorjahr, die Pfaffenhütchen, aber immer noch nicht mit geöffneten Fruchtkapseln, aber auch geschlossen in absolut und immer wieder faszinierender Farb-Form-Einheit:

Pfaffenhütchen 2008

Pfaffenhütchen 2008

Pfaffenhütchen 2008

Pfaffenhütchen 2008

Daneben reflektieren die Hagebutten das warme und manchmal blendende Licht. Die Fruchtkapseln haben für mich etwas sehr Geheimnisvolles, changieren je nach Ansicht irgendwo zwischen prahlender Extrovertiertheit und scheinbarer Aggression, wogegen bloß? Die Anmutung liegt wohl einfach in ihrer Art begründet.

Hagebutten 2008

Hagebutten 2008

Hagebutten 2008

Viele der Heckenrosen bewirten in diesen Tagen Schlafäpfel, die mit lichter werdendem Blattwerk immer deutlicher sichtbar werden:

Schlafafpel 2008

Der Herbst kündigt sich auch schon in vom herab fallenden und sich zersetzenden Laub glitschigen Straßen und Gehwegen an. Das regennasse Herbstlaub zeigt häufig markante Strukturen.

regennasses Herbstblatt

Gärten als Kommunikationsmittel

Ich bin froh, dass M. heute bei Frau J. in S. war, denn das hat ihr über die aktuelle Angst hinweg geholfen, es könne sich bei ihren Beschwerden um etwas Schlimmes handeln. Natürlich, weniger unangenehm wird es dadurch nicht, aber der hellsichtige Blick kann doch die Ungewissheit lebbarer gestalten. Während ihres Besuchs habe ich mir im Stadtteil die Beine vertreten. Bei dem Dauerregen nicht die reinste Freude, aber die Atmosphäre dort ist sehr angenehm, besonders in diesen speziellen Straßenzügen. Sehr ruhig und nah an Wiesen und Wald. Richtig erstaunt bin ich immer wieder über die sagenhaften Vorgärten der Menschen. Wie viel Mühe sie sich geben mit ihren Blumen, Bäumen, Hecken und Dekorationen. Einer der Gärten war die reinste Blumenoase, bei deren Anblick man den kühl nassen Spätsommer hätte vergessen können. Aber auch andere Gärten haben mich beeindruckt, etwa der um ein Haus, das zu einem Förster gehören könnte. Jedenfalls hat der Besitzer die Buchshecken davor mit viel Formgefühl aufwändig geschnitten, mit sequentiell angeordneten ,,Zinnen“, die der ansonsten geradlinig verlaufenden Hecke eine ausgefallene Anmutung verleiht und die Qualität des Hauses zusätzlich hervorhebt. Wer so viel Zeit und Energie nicht aufbringt, hat vielleicht nur eine gerade Hecke aus Eibe oder Hainbuche gepflanzt. In den meisten Fällen aber sind diese privaten Pflanzungen direkt am eigenen Wohnhaus mit außerordentlich viel Liebe angelegt. Ich glaube, die Pflanzen, welcher Art auch immer, haben eine ausgleichende Wirkung auf die Menschen. Sie erzeugen einen ganz privaten, lebendigen Rahmen um das eigene enge Wohnumfeld herum, der dem Alltag Glanz verleiht, nicht zuletzt, weil er Ausdruck der persönlichen Handschrift ist, der kommunikative Wirkungen erzielt. Gärten als Kommunikationsmedien, das wäre vielleicht ein ganz neuer Gegenstand für weitere Forschungen.

Kondensiertes Licht

Es ist ganz gut, wenn sich die handwerkliche Arbeit am Holz auf den Sommer konzentriert. Dieses Jahr war das ganz deutlich so. Denn mit dem Licht geht und fällt auch die Lust an dieser Arbeit. Kein Wunder, ist Holz doch so etwas wie kondensiertes Licht, das die Bäume während ihrer Lebenszeit erzeugen und uns über ihren eigenen Tod hinaus zur Verfügung stellen. Ein faszinierender Gedanke, und eigentlich auch die Grundidee und -motivation hinter den Lebensbaum-Armbändern. Natürlich geht es um die Energie des Baumes, die im Holz quasi aufgehoben ist. Wenn der Träger auf diese Art mit dem Baum eine unsichtbare Verbindung aufbauen kann, wäre der Zweck der Initiative erfüllt. Ich weiß, dass die meisten Käufer das Produkt so einordnen. Und das kennzeichnet den Wunschbaumshop als ein im eigentlichen Sinne kommunikatives Projekt.

Unverwechselbarer Herbst

Die Feigen wollen und wollen einfach nicht. Es ist unglaublich, dass uns bei so vielen Früchten dieses Jahr wohl der Genuss verwährt bleibt. Oder sollte in der kommenden Woche doch noch der Altweibersommer richtig durchbrechen? Ich zweifle sehr daran. Und so stelle ich mich schon insgeheim auf die Herbstzeit ein. So scheint es anderen auch zu gehen, wie ich an der zunehmenden Zahl von Menschen erkennen kann, die aus meinem fotolia-Repertoire weihnachtliche Motive herunterladen. Offenbar ist man in Agenturen und Redaktionen bereits auf diese Festzeit vorbereitet und sammelt bereits kräftig Material. Landwirtschaftlich ist sogar eher schon Winter angesagt. Nach der Traubenlese, die bei uns immer sehr früh ausfällt, gibt es eigentlich nicht mehr viel zu tun. Die Apfelbäume tragen dieses Jahr nach langer Zeit einmal wieder viele Früchte. Immerhin, Zwetschgen dagegen waren dieses Jahr Mangelware. Diese Dinge sind nicht berechenbar, jedes Jahr hat seinen eigenen, ganz besonderen Verlauf, der von Witterungsbedingungen, Wärme-, Kälte-, Regenphasen, dem Grad des Insektenbefalls und vermutlich weiteren Faktoren abhängt, die man gar nicht genau eingrenzen kann. Wünschen kann man sich dennoch jederzeit etwas. Und ich wünsche mir einen Herbst mit viel wärmender Sonne am Spätnachmittag. Das ist in meinen Augen Zeichen einer typischen Herbststimmung. Damit lässt sich die Jahreszeit in unverwechselbarer Weise erleben.

Erstes Herbstlaub

Erstes Herbstlaub
Ich bin froh, mit meinem aktuellen Webprojekt Fortschritte zu machen. Jetzt kann ich endlich loslegen. Dieser Eintrag ist der erste reale Test für meinen neuen Bildschirm, der bereits einen Tag nach der Bestellung eingetroffen ist. An die größere Helligkeit dieses 19“-Formats muss ich mich erst gewöhnen. Zurzeit blendet es mich noch, obwohl ich die voreingestellte Helligkeit schon erheblich reduziert habe. Aber ich schätze, in ein paar Tagen werde ich mich daran gewöhnt haben, und dann werde ich die Vorzüge dieses größeren Fläche und der damit auch größeren Anzeige zu schätzen wissen. Vor allem bei der Grafik- und Bildbearbeitung wird das sicherlich Vorteile bringen. Die Websites sehen jedenfalls auf diesem Schirm schon klasse aus. Also jeden Tag etwas Neues, und heute kam nach einer kleinen Flautephase auch einmal wieder ein Wunsch. Scheint so, dass der September nicht nur das erste Herbstlaub bringt, sondern auch wieder mehr Lust an der Natur. Wenn in diesem Zuge auch ein paar Bestellungen anfallen, wäre mir das ganz recht.

Weinlese als Familienritual

Früher hatte das etwas deutlich Feierlicheres. Die ganze Familie war beteiligt, ein richtiges Event, das in der Regel auf einen Tag begrenzt war. Seit Jahren ist es vor allem eine Arbeit für V., und ich helfe ihm dabei, soweit ich es zeitlich einrichten kann. Diesmal war ich an der Lese selber aber gar nicht beteiligt, sondern habe mich auf das Zusammentragen des Laubs beschränkt, das ich am Nachmittag zu einem großen Haufen aufgetürmt habe. Das wird jetzt erstmal trocknen und dann später gehäckselt zum Kompost kommen. Der Ertrag ist nicht der beste, eigenartig eigentlich, wo doch so viel Regen und ganz ordentliche Temperaturen hinter uns liegen. Auch das Laub ist nicht so üppig ausgewachsen, wie wir es sonst kannten. Möglicherweise sind einige der Rebstöcke, die bei uns enorm lange Triebe bilden, doch schon zu alt und werden bald eingehen. Wirklich schlimm ist das nicht, denn V. zieht sich parallel immer wieder neue heran, die später die Lücke füllen können. Für den Eigenbedarf an Rotwein wird es aber allemal reichen. Ich bin vor allen Dingen froh, dass es uns gelingt, diese Rituale beizubehalten und wünsche mir, dass das noch lange so bleibt. Denn es gehört zur Geschichte unserer Familie unbedingt dazu. Und wie sollte es auch sein – wieder einmal ein Baum-Thema, sofern man das Gehölz des Weinstocks in diese Art einordnen möchte.

Septemberlicht und Frühherbstwärme

Das gestrige Vorhaben, eine Kurzrezension zu Helmut Schreiers Buch ,,Bäume. Streifzüge durch eine unbekannte Welt“ zu verfassen, konnte ich heute gleich umsetzen: Wunschbaum-Rezension. Habe diesen Text auch bei amazon eingereicht. Das ist dann seit Jahren wieder die erste Rezension in der Reihe meiner baumzeit-Kommentare. Ich hoffe, dass ich dadurch neue Anstöße für den brach liegenden Stapel an Baum-Büchern finde, der nicht kleiner werden will. Draußen machen die Feigen durch ihr mäßiges Wachstum eine immerhin minimale Hoffnung darauf, dass sie vielleicht doch noch reif werden könnten. Aber nur, wenn die Anflüge von Indian Summer, die wir heute erleben durften, wirklich Kontinuität erhalten und uns einige Wochen wunderbares Septemberlicht und Frühherbstwärme vergönnt sein wird. Passend zu dieser Hoffnung hat V. heute mit der Lese unserer roten Weintrauben begonnen. Etwas früh, wie immer, aber auch notwendig, da die Wespen keine Ruhe lassen und viele Trauben ohnehin schon aufgefressen haben. Ob wir dieses Jahr eine gute Qualität des Weins haben werden, scheint unsicher, gerade weil es zwar recht feucht, aber doch mäßig sonnig war. Ich bin gespannt, was die Oechsle-Messung als Ergebnis bringt.

Ein ruhiger Lektüresonntag

Heute ging es mir wesentlich besser als am Vortag. Da das Wetter aber wieder in Dauerregen überzugehen drohte, habe ich meinen kurzen Spaziergang bereits am Vormittag unternommen. Zuvor hatte ich meine Recherchen bezüglich eines neuen (Flach-)Bildschirms fortgesetzt und zu einem hoffentlich erfolgreichen Abschluss gebracht. Und der Nachmittag war endlich einmal wieder allein der Lektüre gewidmet. Das Buch von Richard David Precht mit einem recht kurzweilig geschriebenen Parcours über die gesamte Philosophiegeschichte ist ein guter Stoff für ruhige Sonntagnachmittage. Und den Band von Helmut Schreier mit dem etwas irreführenden Titel“ Bäume. Streifzüge durch eine unbekannte Welt“ habe ich nach Monaten, in denen ich immer nur kleine Abschnitte genießen konnte, ebenfalls zu Ende gelesen. Dieses Buch ist wirklich toll, vor allem bewundere ich den Autor und seine geradezu uferlose Belesenheit und Erfahrung mit nahezu allem, was mit Bäumen zu tun hat. Hier wie an anderen Orten der Erde. Im Alltag betrachtet wie durch die Brille des Wissenschaftlers gesehen. Ein so großes Spektrum an unterschiedlichen Beiträgen rund um das Megathema ,,Bäume“ ist darin aufgespannt, dass man sich kaum vorstellen kann, das Sujet noch vielfältiger und kenntnisreicher aufzubereiten. Da kommt dann auch eine gehörige Portion Leidenschaft zum Vorschein, aus der ich vieles von dem wieder erkenne, was mich selber mit den Bäumen verbindet. Dieser vor Jahren schon bei 2001 gefundene Band ist wirklich eine Bereicherung, zu der ich in den kommenden Tagen noch eine Rezension schreiben möchte.

Ein abwesender Tag, einmal ohne Bäume

Dieser Tag hatte einen eigentümlich abwesenden Charakter. Der Tag an sich und vor allem ich, der ich nicht so richtig zu mir kommen wollte. Ich hoffe, das ändert sich schnell. Aber gerade an solchen Tagen, die die Routine unterbrechen, kommen manchmal ungewöhnliche Gedanken und Themen zum Vorschein. In diesem Fall war es die Frage, wo Ms Vater, mein Opa, den ich nie kennengelernt habe, im 2. Weltkrieg gefallen ist. Und im Zusammenhang damit der Wunsch Ms, diesen Ort selber einmal aufzusuchen. Im Kaukasus, so heißt es, sei dieser Ort zu finden, und es ist auch ein Ortsname bekannt, der aber in dieser Schreibweise heute nicht mehr gültig ist und in ähnlicher Schreibweise gleich vier Mal vorkommt, darunter nur einmal in Russland und mehrmals in anderen Republiken, wie der Ukraine. Nun ist also zunächst unklar, wo sein Grab genau gefunden werden kann und wir werden über die Deutsche Kriegsgräberfürsorge versuchen, Näheres heraus zu finden. Ich wünsche es M. sehr, dass sie darüber Gewissheit gewinnt, und dass sie sich ihren Wunsch auch erfüllen kann. Ich will mich bemühen, sie dabei zu unterstützen, so gut es geht. Denn ,,Heimatsuche“, wenn auch in einem abstrakteren Sinne, ist auch für mich ein Thema, dieses Gefühl, noch nicht angekommen zu sein, von etwas Wichtigem abgeschnitten zu sein. Für M. war das besonders schlimm, da sie einige Jahre später auch noch ihre Mutter verloren hatte, ein Verlust, der nie mehr zu ersetzen ist. Und auch ich bedauere sehr, die beiden Großeltern nicht erlebt zu haben. Wer weiß, wie das unser aller Leben beeinflusst hätte. Zu meinen sonstigen Verwandten verbindet mich nämlich nicht allzu viel. Möglicherweise ist diese Gräbersuche für uns ein Weg, Verlorenes und nie wirklich Erlebtes zumindest symbolisch zurückzuholen.

Der Baum als Symbol der Beständigkeit

In dem Café, in dem Frau M. jetzt arbeitet und das wir heute einmal besucht haben, wird zurzeit eine Ausstellung mit Aktmalereien einer saarländischen Künstlerin gezeigt. Die sind so ,,stimmig“ zur Inneneinrichtung, dass man versucht ist, sie als ,,Baumhaus-Dekoration“ einzuordnen, auch wenn das dem Niveau und dem Anspruch der Künstlerin möglicherweise nicht gerecht wird. Aber die Auswahl des Settings ist eben miteinscheidend für die Rezeption. Ein Bild stach deutlich von dieser an den Wänden platzierten Reihe ab. Ein reliefartig mit stark pastosem Farbauftrag versehenes Bild, das auf dem Boden stand und sehr plastisch einen Baum in Szene setzte. Auf den ersten Blick hätte ich gesagt: kitschig. Und doch hat mich das Motiv allein gewissermaßen besänftigt und, wie so häufig bei eigentlich kitschigen Dingen, konnte ich in ihm dann durchaus eine ästhetische Eigenständigkeit wahrnehmen, die in der Atmosphäre und der besonderen Situation, dem Wiedersehen mit einer ehemaligen Arbeitskollegin, einen runden Eindruck ergab. Der Baum als Heimatsymbol oder als Symbol der Beständigkeit bei gleichzeitiger Weiterentwicklung? Die Symbolik der Bäume ist eben vielschichtig und so universal in uns verankert, dass sie sogar in solchen Alltagssituation einen Zauber zu erzeugen vermag. Jedenfalls für den, die sie zu lesen weiß und unter die Oberfläche zu blicken vermag.

Unvorhersehbarkeit ist Regel geworden

Auch der Efeu kommt in diesem Jahr nicht so richtig in die Gänge. Die Blüte jedenfalls fällt ausnahmsweise sehr unauffällig aus, fast unbemerkt, was in den Vorjahren gänzlich anders war. Verrückt, wie unterschiedlich die Pflanzen sich entwickeln, je nach Witterungsverläufen, Durchschnittstemperaturen und der jeweiligen Ausprägung der Jahreszeiten. Die frühere Beobachtung hat sich auch 2008 bestätigt. Dass nämlich die Jahreszeiten tendenziell ihre Abgrenzung verlieren. Natürlich, dieser Sommer war phasenweise auch sommerlich, aber das durchgängige ,,Mokka-Klima“, wie ich es als Kind gerne genannt habe – damit meinte ich ein ganz bestimmtes hochsommerliches Klima – gibt es heute gar nicht mehr. Es ist einer Kontinuität des Unerwartbaren gewichen. Damit liegen Klima und Wetter auf derselben Ebene wie die sozialen, kulturellen und moralischen Dimensionen. Die Unvorhersehbarkeit bei gleichzeitig ausgeuferter Vielfältigkeit und Vernetzung ist eines der charakteristischsten Settings unserer Lebenswelt geworden.

Persönliches Baumtagebuch von Bernhard Lux: Täglich begegne ich den Bäumen auf vielfältigen Wegen. An ihrem jeweiligen Standort in der Natur, in der Lektüre von Baum- und anderer Literatur, in der alltäglichen Reflexion, der handwerklichen Arbeit und im Gespräch mit der Familie oder Freunden und Kollegen. Es ist mir ein Bedürfnis, diese themenbezogenen Beobachtungen, Interaktionen und Kommunikationen in Form des Baumtagebuchs zu dokumentieren. Seit dem 20. November 2004 habe ich keinen einzigen Tag ausgelassen – ein Zeichen dafür, dass das Baumthema und der Baum als Archetypus tatsächlich im Alltagsleben verankert ist und vielfältige inhaltliche Assoziationen ermöglicht. So mag dieses Baumtagebuch jeden seiner Leser/innen auf die Spur einer je eigenen Beziehung zu den Bäumen führen.