Gehmeditation und gesundes Maß

Langsam reicht‘ s mir mit dieser Permanentbewölkung. Zwei solche Tage sind für mich als wetterfühligem Menschen schwer zu ertragen. Und so warte ich stündlich auf den ersten echten Sonnenstrahl. Diesmal haben wir wohl gegenüber dem Norden Deutschlands das nachsehen. Insgesamt aber sind wir, denke ich, meist begünstigt in unserer südwestlichen Ecke. Nur die Schwarzwälder sind noch etwas mehr von der Sonne verwöhnt. Ich warte einfach auf den Indian Summer, der, wie so vieles in diesem Jahr, nicht kommen will. Irgendwie ist alles aus dem Ruder gelaufen. Schlimm ist nur, dass sich fast niemand mehr darüber wundert. Als ob einen fast nichts mehr erschüttern könnte. Selbst die größten Katastrophen, wie der aktuelle Schul-Amoklauf oder die immer häufiger aufgeklärten Fälle von Kindesmissbrauch, sind beinahe schon Alltag geworden. Wie können wir es schaffen, die Überflutung mit Information und Aufklärung, die stetige Beschleunigung des Lebens, die uns in wachsende Komplexität zwingt, auf ein gesundes Maß herunterzuschrauben? So etwas wie ein Spaziergang, bei dem man sich einfach nur auf das Gehen und das Sehen der Landschaft konzentriert, scheint mir der einzig mögliche Weg. Aber für solche Gehmeditationen sind bei mir die Sonne und das Licht unabdingbar. So freue ich mich auf die nächsten Sonnenstrahlen und die noch ausstehenden Begegnungen mit den Bäumen des Spätsommers.

Lichtarmut und Wunderbewusstsein

Das war der seit Installation unserer Anlage sonnenärmste Tag dieses Jahres. Von früh an bis zum Abendgrauen ist die milchig weiße und total dichte Hochnebeldecke nicht aufgerissen, so dass der Himmel überhaupt nicht zu sehen war. Nur diffuses Licht bei noch relativ hoher Helligkeit, d.h. irgendwo da oben muss sie doch gewesen sein, die Sonne. Uns war sie heute jedenfalls nicht vergönnt. Irgendwie hüllt das alle Lebewesen in eine Art Glocke, die einem den Atem raubt. So ging es mir, und ich konnte daran sehen, wie wichtig doch die Sonne für uns ist. Kein Wunder, dass Depressionen und Alkoholismus in ständig kalten und lichtarmen Gegenden dieser Erde so verbreitet sind. An so einem Tag kann ich auch nicht mit Holz arbeiten. Selbst die Begegnung mit den Bäumen in der Landschaft reizt mich nicht. Vielleicht weil für diese Begegnung das wichtigste Fehlt: das Sonnenlicht, die Quelle letztlich allen Lebens. An solchen Tagen wird diese Kette besonders bewusst: Sonne – Licht – Pflanzen – Tier und Menschen. Das eben alles miteinander zusammenhängt. Und wie labil dieses Zusammenspiel ist. Wenn die Quelle abgestellt oder reduziert ist, dann ist plötzlich alles in Frage gestellt, offenbart seinen Charakter als Wunder, das wir wohl viel zu selbstverständlich als Lebensgrundlage nutzen.

Friedhofsbäume

Die Eibenhecken auf dem Friedhof, die zur Begrenzung der einzelnen Grabparzellen dienen, wurden gerade erst geschnitten. Schön geometrisch, mit rechtwinkligen Kanten und auf eine Höhe von ca. 60 cm. So wurde aus der Hecke quasi ein grünes Mäuerchen, das dem Friedhof den gesteigerten Anschein von Ordnung auf Aufgeräumtheit verleiht. Seltsam, denn diesen Eindruck vermittelt er ja per se. Die Hecken unterstützen ihn nur und sind deshalb ganz richtig dort platziert. Gs Grab ist hingegen von undefinierbaren Ziergewächsen eingegrenzt. An der Kopfseite ist es von einer inzwischen groß gewachsenen Hainbuche überdacht. Und schräg gegenüber breitet eine gewaltige Roteiche ihre Äste aus, die bis dorthin reichen. Die Folge ist, dass trotz des sonnigen Sommers die Farndecke des Grabs ziemlich verdorrt ist. Nicht etwa wegen mangels an Feuchtigkeit, sondern weil es ständig im Halbschatten liegt. Das scheint diese Art nicht so gut zu vertragen. So hoffen wir, es wird sich im kommenden Frühjahr wieder erholen und alle Frei- und Zwischenräume ausfüllen, damit wir aus ihm wieder ein akkurates Oval herausschneiden können, in dessen Mitte die Blumen ihren Platz finden. Und bald schon der Adventskranz.

Zwischen Lethargie und Neuaufbruch

Die Wandelröschenstöcke strotzen dem wechselhaften Wetter und haben derzeit die schönste Ausstrahlung neben den Korallenfuchsien vor unserem Haus. Natürlich sind sie nicht ganz so prachtvoll wie im Hochsommer, vermissen einfach die durchgehende Sonne, die heute unter starker Bewölkung nur phasenweise, dann aber kräftig durchkam. Der Spaziergang am Mittag, auch das Blumengießen am Abend sind eine willkommene Abwechslung von relativ einseitiger Schreibtischarbeit. Dennoch, ihre Wirkung ist zurzeit nicht sehr durchschlagend. Da liegt diese Lethargie in der Stimmung aller Menschen, die ich beobachte. Als ob der wirtschaftliche Tiefpunkt anders als ständig betont nicht etwa hinter uns läge, sondern immer noch nicht erreicht ist. Ich wünschte mir sehr, unrecht zu haben, und den neuen Aufbruch noch im zu Ende gehenden Jahr erleben zu können.

Efeu ist eine Ganzjahresattraktion

Ein ganz schön mieser Sonnentag war das. Da sind wir nicht einmal auf den Durchschnittswert gekommen. Na ja, die Wettervorhersage hat in unserer Ecke für morgen schon wieder einen Mix aus Sonne und Wolken angezeigt, also nicht mehr dieser Dauerhochnebel. Das spannendste beim Blick aus meinem Arbeitszimmerfenster sind zurzeit die noch ganz jungen und weißgrün schimmernden Früchte des Efeus, der unsere ganze Einfahrtsmauer überwuchert. Das wird jede Menge Material für unsere Advents- und Weihnachtskränze sowie -dekorationen. Schade nur, dass die Früchte zu dieser Zeit, Anfang Dezember, noch nicht richtig ausgereift sind und dann noch irgendwo zwischen dunkelgrün und schwarz-violett liegen. Im Januar, Februar dann sind sie richtig prall, mit weichem Fruchtmantel und dunkel, schwarzbläulich. Efeu gehört aber zu den Pflanzen, die das ganze Jahr über spannend sind. Schon wegen ihres zeitversetzten Wachstums, das Blüten und Früchte manchmal gleichzeitig erscheinen lässt. Aber auch wegen des Rankens und Festklammerns an fast jedem Untergrund. Nicht zuletzt aber wegen seiner immergrünen, auch der schärfsten Kälte strotzenden Blätter, die auch noch dieser wunderbare Form haben.

Motivarme Zeit

Am Vormittag konnten wir uns noch an dem wunderbaren Licht erfreuen. Der Spaziergang an der Saar war richtig schön. Aber nach Mittag setzte sich dann doch die Wettervorhersage durch, und die Schauerwitterung der kommenden Tage warf ihre Schatten voraus. Den Fotoapparat habe ich heute bewusst zu Hause gelassen. Ich wusste, derzeit finden sich keine attraktiven Motive. Die typische Herbstlaubfärbung wird erst im Oktober durchbrechen. Und die letzten Sommerfrüchte der Sträucher und Bäume sind entweder geerntet oder von den Vögeln gefressen. Nur die nicht so gut genießbaren halten sich noch, wie von Schneeball und Liguster. Die Zeit des Fotografierens kommt erst wieder.

Zeugen der Erntezeit

Das Licht, die Helligkeit war wunderbar an diesem Spätsommer-/Frühherbsttag. Mein Bedürfnis nach einer kurzen Spritztour nach L. passte dazu. Und der auch sonst eher unproduktive, aber dafür gelassene Trödeltag. Genau das, was ich jetzt brauchte. Von einem Telefonat mit J. und von M. weiß ich, dass es den beiden ebenso ging. Einfach mal ausruhen. Und da merke ich wieder, dass unsere Befindlichkeit sehr stark vom Kreislauf der Jahreszeiten geprägt ist. Unsere Körper spüren den Übergang und reagieren darauf mit einer Art Schongang, dasselbe Phänomen wie im Frühjahr. Auch die Bäume scheinen es deutlich wahrzunehmen, lassen sich den Herbst überwiegend aber noch nicht ansehen. Nur der Feigenbaum offenbart in seiner jetzt schon Wochen andauernden Wachstumsstarre, dass für dieses Jahr kein Wachstum, nicht einmal ein Ausreifen mehr zu erwarten ist. Die leckeren Zwetschgen, die V. heute wieder tonnenweise gepflückt hat, sind vor den noch ausstehenden Äpfeln mit die letzten Zeugen der Erntezeit. Und so konnten wir am Nachmittag auch nicht von den Kuchen lassen, von denen wir einen schon fast vollständig verdrückt haben. Und der zweite folgt ganz sicher morgen.

Zu viel

Es gibt Zeiten, in den man das Gefühl hat, bestimmte Aktivitäten nehmen überhand, bestimmen den kompletten Arbeits- und Alltag und werden auf diese Weise einfach zu viel. So ein Gefühl habe ich heute, nach einer sehr lernintensiven Woche, die ich überwiegend vor dem Bildschirm zugebracht habe. Ich denke, das Wochenende erfordert einmal wieder ein Kontrastprogramm. Etwas Abstand ist notwendig, um neue Energie zu tanken, den Kopf frei zu machen. Das fördert auch die Qualität der Arbeit in anderen Bereichen. Und ich hoffe immer noch auf den ,,Indian Summer“, mit ruhigen Spaziergängen, kontemplativen Baumbetrachtungen, etwas Lektüre und hoffentlich anregenden Gesprächen.

Zwischentag

Ein merkwürdiger Zwischentag war das. Zwischen Sommer und Herbst meine ich. Und einer, bei dem man nicht unbedingt den Drang hatte, sich im Freien zu bewegen. So fiel der Mittagsspaziergang auch sehr kurz aus. Gerade genug, um ein paar Weißdornbeeren zu kauen. Die Sträucher machen mir bei jeder Begegnung viel Freude. In dieser Kombination aus Dunkelgrün und Dunkelrot markieren sie die wenigen farblichen Highlights dieser Jahreszeit. Kurz bevor die Blätter der Landschaft ihr vergehendes Bunt aufprägen.

Spätsommerfreuden

Es lohnt sich, dass wir uns mit den Blumen rund ums Haus so viel Mühe geben. Kürzlich gab es diesbezüglich auch ein dickes Lob von einem unserer Nachbarn. Aber es ist nicht nur Arbeit, sonder macht natürlich auch sehr viel Freude. Außerdem: Das Blumengießen am Abend, meist verbunden mit dem Abknipsen junger Früchte am Wandelröschenstock und einem Rundgang durch den Garten mit Besuch meiner beiden Lieblingsbäume, das ist sehr erholsam und ein guter Ausklang des aktiven Tages. Möge die Witterung mitspielen und noch sehr schöne Spätsommertage schenken, die dieses Ausklingen auch möglich machen. Aber es gibt ja auch noch den ,,Goldenen Oktober“. An Winter denke ich so schnell noch nicht.

Zur Unmittelbarkeit von Gerüchen

Die schmalen Abschnitte der griechischen Zypresse dürften bald so weit abgetrocknet sein, dass ich den Drechseltest durchführen kann. Ich bin sehr gespannt, ob das Material den Anforderungen standhält und sich wirklich runde Querschnitte produzieren lassen. Die Oberfläche wirkt jedenfalls in der jetzigen Brettform sehr attraktiv, mit deutlich abgegrenzten Jahresringen und einem warmen, Honiggelb-Orange-Braun-Ton. Entscheidend aber ist die innere Konsistenz, die Struktur des Holzes. Und dabei spielen die ätherischen Öle eine wichtige Rolle. Den Geruch, der besonders deutlich in den ersten Tagen nach dem Aufsägen wahrnehmbar war, mag ich sehr. M. und V. dagegen finden ihn zum Weglaufen. Seltsam, wie unterschiedlich man gerade auf Geruchsreize reagieren kann. So weit ich weiß, ist der Sinn ja auch in einer evolutionär alten Gehirnregion untergebracht und unmittelbar, täuschungssicher sozusagen. Jedenfalls so, dass man sich ihm nicht entziehen kann und eine Wertung unvermeidbar ist. So ist nach der Feststellung gegenteiliger Wahrnehmungen in solchen Fällen auch schon das letzte Wort gesprochen.

Kontrastreiche Übergänge

Nun ist unser Tagesertrag doch wieder auf über 40 kW geklettert. Und das Klima ist dabei sehr angenehm, entspannend geradezu im Vergleich zur Situation im Hochsommer. Deshalb ist es eigentlich ganz schön, dass heute Abend wieder unser monatliches Treffen ansteht, diesmal in einem Dorf, das mir bisher noch völlig unbekannt war. Bin gespannt, ob wir diesmal auf den eigentlichen Zweck der Treffen – English conversation – zurückkommen werden. Das wäre ein ausgleichender Kontrast zu diesen vielen Technikfragen, die mich heute so beschäftigt haben. Ich hoffe, in den Abendstunden der kommenden Zeit die Gelegenheit zu finden, das langsam ins Bräunliche übergehende Laub des Weinstocks und anderer Bäume und Sträucher zu fotografieren. Eigentlich sind diese Übergangsfarbmuster die interessantesten des Herbstes überhaupt, da die Symbolik des Rückzugs und der Umwandlung damit besonders plastisch wird. Jedenfalls könnte mein Portfolio durchaus noch etwas Nachschub vertragen.

Entspannender Sonntagsausflug

Schön, dass wir heute einmal etwas anderes als die übliche nähere Umgebung gesehen haben. Den Auftakt bildete um Mittag der Besuch des Linsenfestes. Auch wenn ich keine großer Feste-Feierer bin, ist das doch ein jährlich wiederkehrendes Ritual, das mit den leckeren „Kartoffel-Mäusjern“, der Linsensuppe, aber mit der besonders heimeligen Atmosphäre dort zu tun hat. Meine anschließende Ankündigung an M., ich wolle am Nachmittag den Mühlenweg gehen und die neu aufgekommene Sonne nutzen, weckte wohl auch in ihr die Ausflugslust. So sind wir schließlich in F., Ms Geburtsort gelandet, haben den dortigen Friedhof besucht und sind anschließend zu dem schönen renovierten Bauernhaus mitten im Wald gefahren. Von dort aus sind wir die ca. 2 km bis K. gewandert, und im Ort selber noch ca. 1 km, bis wir die Dorfkneipe entdeckten. Die war mir bei früheren Wanderungen immer verborgen geblieben. Ganz nett dort, denn M. konnte den Wirt in ein kleines Gespräch über gemeinsame Bekannte verwickeln, und über den schönen Wanderweg und die verschiedenen im Wald gelegenen Häuschen, die nach Auskunft des Wirts überwiegend ehemalige Mühlen sind. Unter anderem haben wir auch erfahren, wer zuletzt Besitzer dieses tollen Bauerhauses war. M. hat auf dem Rückweg noch einige Pflanzen gesammelt: Erika, Farnwedel, getrocknete Disteln, die sie sicherlich in ihren Kranz einbinden will. Mit sind nach einem ansonsten motivlosen Weg diese schönen Flügel des Bergahorns aufgefallen:

Früchte des Bergahorns

Gedächtnislücke Liguster

Dieser Tag stand ganz im Zeichen von Renovierungsarbeiten bei J. und W.. Immerhin ist es uns gelungen, bis zum Abend die Räume so weit vorzubereiten, dass die Tapezierer in der nächsten Woche den Job innerhalb eines Tages zu Ende bringen können. Und dann wird es, denke ich, sehr schön aussehen. War doch ganz gut, dass sie das Tapezieren abgegeben haben, denn die Tapete ist sehr kompliziert im Muster und entsprechend schwierig zu kleben. Das wäre für uns einfach zu zeitaufwändig geworden. Die einzige Baumkommunikation war Ws Frage nach dem Namen eines Strauchs, der vor ihrer Haustür am Lärmschutzwall wächst und den J. schon öfter für Dekorationszwecke verwendet hatte. Obwohl ich den Strauch bestens kenne, wollte mir der Name spontan partout nicht einfallen. Nach längerem angestrengten Nachdenken, bin ich dann doch noch darauf gekommen: Es handelte sich um den Liguster, der zu dieser Zeit des Jahres seine wunderbar schwarz glänzenden Früchte trägt und aus meiner Sicht durchaus eine Bereicherung der Strauchlandschaft darstellt.

Persönliches Baumtagebuch von Bernhard Lux: Täglich begegne ich den Bäumen auf vielfältigen Wegen. An ihrem jeweiligen Standort in der Natur, in der Lektüre von Baum- und anderer Literatur, in der alltäglichen Reflexion, der handwerklichen Arbeit und im Gespräch mit der Familie oder Freunden und Kollegen. Es ist mir ein Bedürfnis, diese themenbezogenen Beobachtungen, Interaktionen und Kommunikationen in Form des Baumtagebuchs zu dokumentieren. Seit dem 20. November 2004 habe ich keinen einzigen Tag ausgelassen – ein Zeichen dafür, dass das Baumthema und der Baum als Archetypus tatsächlich im Alltagsleben verankert ist und vielfältige inhaltliche Assoziationen ermöglicht. So mag dieses Baumtagebuch jeden seiner Leser/innen auf die Spur einer je eigenen Beziehung zu den Bäumen führen.