Das Wesen der Bäume

Mein Baumkalender zeigt für den September eine gewaltige Buche, die in der Bildbeschreibung als alte Hutebuche identifiziert wird. Das heißt wohl so viel, wie dass in früheren Zeiten unter ihren Ästen Haustiere, vermutlich Schweine, die Bucheckern gesucht und gefressen haben. Interessanterweise sind es gerade diese zweckhaft genutzten Bäume, die eine besondere Ausstrahlung erhalten und zu mächtigen Zeitgenossen heranwachsen. Ihre heutige Aura überstrahlt die Tatsache, dass sie ihre einstige Bedeutung für die Viehhaltung längst eingebüßt hat. Heute ist sie nur noch Baum. Aber einer, der viel Charakter zeigt und Hermann Hesses Anmerkungen zum Wesen der Bäume anschaulich macht, dass sie nämlich im Besonderen das übergreifende ihrer Art repräsentieren, dass sie also Artzugehörigkeit mit individueller Unverwechselbarkeit zu verbinden wissen. Ich kenne selber auch einige Bäume in meinem Umfeld, denen ich bei Spaziergängen und Wanderungen begegne, teils tote oder fast abgestorbene mächtige Bäume, die diese majestätische Ausstrahlung haben. Die Begegnung mit ihnen ist immer ein Erlebnis und lässt mich näher an das Wesen der Bäume herankommen.

Natürliche Symbolik im virtuellen Raum

Jetzt beginnt er schon, der meteorologische Herbst. Aber ich halte mich da lieber an den Sonnenstand, nachdem der Herbst erst am 24. September beginnt. Und davor erwarten wir hoffentlich noch schöne Spätsommer-/Frühherbsttage. Davor, gerade als ob das sein müsste, hat uns dagegen erst noch ein Einbruch von ungemütlicher Kälte heimgesucht, der einen zwingt, wärmere Kleidung überzustreifen, und in krassem Kontrast zu den heißen Tagen liegt. Ich merke, wie schon oft zuvor, dass die Menschen gerade an solchen ,,Entzugstagen“ gerne im Internet nach Naturthemen sehen. So ist es schön, wenn die Sehnsucht nach Grün und Wachstum neue Besucher zu den Wunschbaumseiten führt. Und richtig es auch. Denn bei Sonnenschein sind die natürlichen Originale da draußen ohnehin vorzuziehen. Bei schlechtem Wetter dagegen kann man ihre Symbolik besonders gut im virtuellen Raum studieren.

Späte Wachstumsphasen

Der August läuft ziemlich trübe aus. Das war auch wieder nicht zu erwarten. Aber da die kommende Woche der Spätsommer wiederkehren soll, bin ich versöhnt. Vor allem, weil das auf einen schönen Übergang in den Altweibersommer aussieht. Ich hoffe sehr, Licht und angenehme Temperatur werden dieser Zeit typischerweise entsprechen. Dann werden auch die Bäume noch ihre Freude haben und ihren Trieben den letzten Wachstumsschub geben. Vor allem für den Feigenbaum in unserem Garten ist das wichtig, der doch noch so viel aufzuholen hat. Die Blumen dagegen scheinen schon eher den Herbst vorauszuahnen. Sie stehen nicht mehr so kräftig und üppig da wie noch vor einigen Wochen.

Weiche Linde

Linde kommt relativ selten vor. Dabei ist der Baum doch so beliebt. Die weichen Hölzer sind immer eine gewisse Herausforderung, da sie besondere Sorgfalt erfordern, um nicht aus der Form zu geraten. Im Ergebnis wirken sie meist ansprechend, was an der Helligkeit der meisten Weichhölzer liegt, aber auch an ihrer federleichten Anmutung. Der Linde traut man neben der Leichtigkeit aber auch einen gewissen Ernst zu. Schließlich ist ihr Image als Versammlungs-, Gerichts- und Tanzbaum immer hintergründig im Spiel, wenn man einer Linde begegnet. Zu meinen Lieblingsbäumen zählt sie nicht, vielleicht weil ich sie biografisch nicht verorten kann, weshalb es mir auch schwer gefallen wäre, einen Text zur geplanten thematischen Textsammlung des Verlags A. beizusteuern. Hätten sie doch besser nach der Eibe, dem Nussbaum oder dem Bergahorn gefragt!

Hochzeit der Sonnenblumen

Wir dachten, es seien verschiedene Kerne gewesen. Dabei haben die Nachbarn nur den besseren Boden für die Sonnenblumen. Aber jetzt, nach einigen Wochen schrauben sich auch unsere Exemplare zu größeren Höhen nach oben und bieten ein sonniges Gesamtbild. Man kann jetzt auch schön die verschiedenen Varianten erkennen. Die meisten haben sonnengelbe Blüten, eine Pflanze dagegen orange-braune. Die finde ich besonders schön. Und dann ist da noch eine mit gelben Blütenblättern und einem gelb bestaubten Samenstand. Ich denke, wir werden später von den schönsten die Kerne sammeln und im Frühjahr nach Farben getrennt selber welche heranziehen. Dann haben wir im Hochsommer eine schöne Ergänzung zu unseren Gartenbäumen und alles ist noch stärker vom Vegetabilen durchzogen.

Gleißendes Licht

Es ist toll, wie der Sommer sich in dieser späten Phase noch von seiner schönsten Seite zeigt. Das Licht war so angenehm und strahlend, wie in einem Lichtzelt. Da konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, einmal in der Mittagszeit, und dann noch einmal am späten Nachmittag einen Spaziergang über den Flussdamm zu unternehmen. Die Bäume sind dabei schon fast Nebensache, obwohl das Rot der Früchte bei den Heckenrosen, den Ebereschen und den schwedischen Mehlbeeren die Helligkeit zurückstrahlt. Wesentlich ist aber der Eindruck des gleißenden Lichts, in dem man sich einfach wohl fühlt. Wäre schon, wenn der Indian Summer ähnlich sonnig ausfällt, am besten mit kalten Nächten. Dann nämlich gerät die Laubfärbung am schönsten.

Arbeitserleichterung

Vielleicht habe ich demnächst eine Erleichterung beim Abschleifen meiner Holzperlen. Ein netter Bekannter hat sich etwas einfallen lassen, um den rotierenden Schleifteller in seiner Geschwindigkeit zu verlangsamen. Raffinierte Konstruktion und doch ganz einfach. Wirklich testen konnte ich es noch nicht, kann mir aber vorstellen, dass es beim nächsten Lebensbaum-Armband zum Einsatz kommt. Damit wird die ansonsten sehr kraftaufwändige Arbeit des exakten Kürzens der gesägten Perlen wohl sehr viel einfacher werden. Bin gespannt, wie sich das bezüglich des Zeitaufwandes auswirkt, weniger anstrengend dürfte dieser Arbeitsschritt aber in jedem Fall werden.

Entschädigung

Entspannte Atmosphäre, in der Luft und zwischen den Menschen. Das ist der Spätsommer, den man gelassen nimmt. Und die Pflanzen nehmen es auch gelassen, haben ihren Höhepunkt schon überschritten und konzentrieren sich ganz auf das Reifen ihrer Früchte. Nur mit Baumfrüchten sieht es in diesem Jahr sehr schlecht aus. So wird sich unsere diesjährige Ernte wohl im Wesentlichen auf die Weintrauben konzentrieren. Und mit Zwetschgen-, Mirabellen-, Apfel- und Kirschkuchen wird’s leider nichts. Ein schöner Frühherbst wäre eine Entschädigung, denn dann ist die Landschaft auch ohne Früchte noch reizvoll.

Abweichungsphasen

Manchmal ist es auch erholsam, wenn bestimmte Routinearbeiten einmal pausieren. So freue ich mich auf die Arbeit an den Lebensbaum- und Wunschbaumarmbändern bei hoffentlich mildem Klima im Altweibersommer. Jetzt während der Hitzeperiode steht der Sinn bei Interessenten wie auch mir eher nicht nach dem Thema. Es ist so, wie wenn besondere Hitze ebenso wie die blattlose Kälte des Winters für das Baum-Mensch-Verhältnis eine Art Auszeit bedeutet. Man ist in beiden Fällen eher mit sich selber beschäftigt, zieht sich auf die eigene Befindlichkeit zurück. Auch das weicht von dem globalen Atmungsvorgang der Erde ab, der im Jahresverlauf keineswegs ohne Abweichungen und Ausreißer auskommt.

Was wir mit Bäumen teilen

Rudolf Steiners Bild vom Atmungsvorgang der Erde scheint mir doch ein sehr zutreffendes. Vielleicht ist das auch eine gute Erklärungsmöglichkeit für die Wetterfühligkeit vieler Menschen. Diese Differenzen der Ausdehnung, einmal in Richtung des weiten Kosmos, einmal in Gegenrichtung der Erde, ist aber nicht nur ein Unterscheidungsmerkmal zwischen den Jahreszeiten. Auch innerhalb kürzerer Zeiträume, auch innerhalb eines Tages treten solche Richtungswechsel auf, korrespondieren mit Druckschwankungen der Luft, Temperatur- und Niederschlagsunterschieden. Bei Wetterfühligen spiegelt sich das alles quasi im Kopf, auch in den Venen, den Sehnen, den Muskeln, alten Narben. Wenn uns bestimmte Pflanzen in Form von Arzneien und anderen Heilmitteln helfen können, Unwohlsein in Folge der Wetterfühligkeit auszugleichen, dann doch sicherlich, weil diese Ausdehnungsdifferenzen eng mit dem Leben und Wachsen der Pflanzen zusammenhängen. So ist auch unsere Beziehung zu den Bäumen nicht nur eine äußerliche, die sich im Beobachten des Grünens, Wachsens, Blühens und Fruchtens sowie der Laubfärbung und des Blätterfalls im Herbst erschöpfte. Unser Wohl- wie Unwohlsein verbindet uns auch mit ihnen und schafft eine wechselseitige Abhängigkeit und Interaktion im täglichen Zusammenleben über die Grenzen der Spezies hinweg.

Großer Lebenswille

Der Feigenbaum zeigt sich in diesen Spätsommertagen in besserer Form denn je. Im Frühjahr hätten wir nicht gedacht, dass überhaupt nochmal was aus ihm wird, so blattlos und wintergeschädigt, wie er dort stand. Aber jetzt sind doch viele neue Äste nachgekommen und die großen Löcher in seiner Architektur füllen sich langsam wieder, auch wenn das Geäst noch ziemlich kreuz und quer verläuft. Das müssen wir später wieder ausdünnen. Er zeigt damit großen Lebenswillen. Und das ist wichtig, wenn er den Winter möglichst schadlos überstehen will und hoffentlich im neuen Jahr sich wieder normal entwickelt. Ich spekuliere immer noch auf eine Hand voll reifer Feigen. Vor Anfang Oktober dürfte es damit allerdings nichts werden. Dafür sind sie noch zu klein und zu grün.

Erdnah

Ich vermute mal, jetzt geht’s mit den Temperaturen wieder langsam rückwärts. Das waren sicherlich die heißesten Tage dieses Jahres. Oder wie es ein Fernsehmoderator heute ausgedrückt hat, Petrus hat es gut gemeint und den ganzen Sommer in eine einzige Woche gepackt. Na ja, ich hoffe, so endgültig wird es nicht sein und wir haben noch eine schöne Spätsommer- und Herbstzeit. Mit schönen Farbspielen der Baumblätter, mit vielen Früchten bei den Bäumen, die im Frühjahr zum Blühen gekommen sind. Und mit der dem Altweibersommer so charakteristischen wohligen Wärme, besonders in den Nachmittagsstunden, die dann in ein unvergleichlich mildes Licht gehaucht sind. Zeit, welche die Beobachtung des Erdnahen wieder stärker herausfordert, die mit dem Rückzug des Vegetativen zur Erde hin in den Mittelpunkt rückt.

Emotional in Richtung Herbst

Die Menschen stöhnen über der Hitze. Und doch stelle ich eine erhöhte Aktivität im Internet fest. Die Ferienzeit scheint dem Ende entgegen zu gehen. Und es entsteht eine Art Aufbruchstimmung, die dem Sommer noch verhaftet ist, sich aber emotional schon in Richtung des Herbstes bewegt. Es ist, als ob man die Laubfärbung schon im Gefühl hätte. Interessant, gerade diese Übergangszeiten, die immer auch Wechsel im Motivationsmuster der Menschen darstellen. Diese Zusammenhänge zwischen jahreszeitlichen Wechseln, psychischen Dispositionen und sozialer Aktivität müsste viel gründlicher noch untersucht werden.

Zwischen Natur- und Selbsterkenntnis

Wenn das Ausatmen der Erde in diesem Jahr einen Höhepunkt erreichen konnte, dann sicherlich an diesem Tag. Wahrscheinlich waren die Bäume und alle Pflanzen dem Geistigen des Kosmos besonders nahe, haben sich ihre elementaren Geister besonders weit in die kosmischen Weiten ausgedehnt. So scheint es mir, vielleicht eher als vor knapp 2 Monaten, dem eigentlichen Datum der Sommersonnenwende. Aber natürlich bedeutet das gleichzeitig auch einen Wendepunkt, die Bewegung zurück Richtung Erde, die Annäherung des Herbstes. Dann zieht sich das Geistige wieder zurück, bis es um die Weihnachtszeit sich tief in der Erde vergraben hat. In uns aber entstehen neue Kräfte, die diesen Rückzug ausgleichen. So verstehe ich die Ausführung Rudolf Steiners über den Zusammenhang des Jahreskreislaufs mit der Ausdehnung und dem Rückzug des Geistigen zwischen Kosmos und Erde. All das beobachtbar im Spiegel der grünenden und dann wieder ersterbenden Pflanzenwelt, die das Göttliche für uns alle augenscheinlich macht. Ich wünsche mir sehr, dass Steiners von diesen Einsichten für mich Impulse ausgehen, damit das im Gemüt weiterlebt und sich lebenspraktisch manifestiert, was sich zunächst nur im Rekonstruierenden des Verstandes ausbilden konnte. Dass mich diese Gedanken so angesprochen haben, zeigt aber ihre Bedeutung für meine vorgängige Natur- und Selbsterkenntnis. Es ist schön, dafür eine Formulierung gefunden zu haben, die Rudolf Steiner in seinen Vorträgen vor fast 100 Jahren bereits in die Welt gesetzt hat.

Persönliches Baumtagebuch von Bernhard Lux: Täglich begegne ich den Bäumen auf vielfältigen Wegen. An ihrem jeweiligen Standort in der Natur, in der Lektüre von Baum- und anderer Literatur, in der alltäglichen Reflexion, der handwerklichen Arbeit und im Gespräch mit der Familie oder Freunden und Kollegen. Es ist mir ein Bedürfnis, diese themenbezogenen Beobachtungen, Interaktionen und Kommunikationen in Form des Baumtagebuchs zu dokumentieren. Seit dem 20. November 2004 habe ich keinen einzigen Tag ausgelassen – ein Zeichen dafür, dass das Baumthema und der Baum als Archetypus tatsächlich im Alltagsleben verankert ist und vielfältige inhaltliche Assoziationen ermöglicht. So mag dieses Baumtagebuch jeden seiner Leser/innen auf die Spur einer je eigenen Beziehung zu den Bäumen führen.