Gespiegelte Haltung

Ja, die tendenziell meditative Grundstimmung dieser Obsterntezeit macht sich wieder einmal in Verzögerungen und Ausdehnungen bereits laufender Projekte bemerkbar. Es ist dann, als ob die Befindlichkeit vieler Menschen gleichzeitig von den Verhältnissen in ihrem natürlichen Außen geprägt ist. Und diese Verhältnisse deuten auf einen Rückzug, zwar auf ein Vollenden in Form der Fruchtreife, aber eben auch mit Blick auf das anschließende Zurückfahren der Wachstumsgeister. Das spiegelt sich oft in der entsprechenden menschlichen Haltung. Gut fürs Reflektieren. Schlecht aber, wenn ein Projekt nur im Austausch weiterentwickelt oder abgeschlossen werden kann. So versuche ich diese Phase wie immer zu nutzen, um das eigene Spektrum um die eine oder andere Facette zu bereichern.

Sommer-noch-nicht-Herbst

Diese Zeit, in der traditionell das größte Fest des Dorfes stattfindet, gehört für mich zu den reizvollsten des Jahres. Beim Fest konnte ich beobachten, dass die meisten Menschen unter diesem Einfluss stehen und so wirken, als ob sich Gelassenheit mit einer gewissen Freude am Spätsommer verbindet. Man weiß dann, der Sommer ist eigentlich vorbei, aber der Herbst noch nicht angekommen. Beste Gelegenheit, die Vorzüge beider Jahreszeiten zu erleben. Der Blick in unsere hoch geleiteten Weinreben zeigt jetzt schon ein ganz anderes Bild. Das wenige wegen der noch nicht reifen weißen Trauben verbliebene Weinlaub verfärbt sich bereits herbstlich. Bald schon wird es kein Sonnenlicht mehr einfangen und Süße in die Früchte schicken können. Dieses spätnachmittägliche Licht ist ganz typisch für die Atmosphäre dieser Zeit.

Spätsommerliches Weinlaub

Routinearbeiten in der Gewinnung tadelloser Holzrohlinge

Zum Nachmittag hin hat sich die Sonne doch noch erbarmt und uns eine Ahnung des Altweibersommers vermittelt. Die Sägearbeiten am Vormittag waren der richtige Einstieg in diesen eher neblig begonnenen Tag. Es hatten sich verschiedene bereits abgetrocknete Hölzer angesammelt, die für die dauerhafte Lagerung auf dem Speicher vorbereitet werden mussten: Ein Satz Weißdornabschnitte, die wenigen Abschnitte vom Trompetenbaum, die restlichen Holunderstücke in einer helleren und einer dunkleren Version, und auch noch einige schmale Stäbe von dem Ast unseres Feigenbaums, den wir letztes Jahre entfernen mussten – immerhin ließen sich daraus noch 5 Kanteln gewinnen. Eine wichtige Stärkung meiner Vorräte, die bei dieser Art so schwierig zusammenzutragen sind. Am späteren Nachmittag bin ich ein Projekt angegangen, das ich schon lange vor mit her schiebe. Die Unmengen Paraffinreste aus verschiedenen Quellen, vor allem aber aus Js intensivem Kerzenverbrauch in der Weihnachtszeit, waren endlich einmal zu reinigen und einzuschmelzen. Ganz fertig geworden bin ich mit dem Schmelzen nicht. Aber drei neue Paraffinkuchen sind es jetzt schon geworden. Sicher werden sich aus dem verbliebenen Rest noch mindestens 2 herstellen lassen. So sollte ich für eine ganze Weile genug zusammen haben, um eine größere Menge nasser Holzabschnitte einwachsen zu können. Einfach unverzichtbar, vor allem bei den dichteren Hölzern, die sich stark verwerfen und Risse bilden. Meine Sorgfalt in diesem Bereich zahlt sich jedenfalls immer wieder aus. Die gerade begradigten Weißdornabschnitte, ein Beispiele für solche Problemfälle, sind ausnahmslos ohne Risse abgetrocknet.

Wunderbare Pfaffenhütchen

Fruchtkapseln des Pfaffenhütchens im Spätsommer

Tatsächlich erscheinen sie mir jedes Jahr wieder wie ein Wunder. Mit der unglaublichen Form der geschlossenen Früchte, dieser intensiven Farbigkeit, die zum grundlegenden Grün der Landschaft grell bunte Farbakzente setzt. Bisher habe ich nur wenige Früchte gesehen, die bereits aufgebrochen waren. Wenn später der orangefarbene Samenkern zum Vorschein kommt, ist die Pflanzen-Popart perfekt. Dieses Mal muss ich in dieser Zeit unbedingt mit Stativ unterwegs sein, denn die filigranen Formen der reifen Früchte sind nicht ganz einfach scharf ins Bild zu setzen.

Guter Ertrag der ersten Rotweinlese

Unglaublich, wie früh in diesem Jahr alles dran ist. Heute hat V. schon die roten Trauben für den künftigen Rotwein gekeltert, die vor ein paar Tagen eingemaischt wurden. Anschließend habe ich ihm geholfen, den Inhalt der zwei großen Fässer mit zusammen etwa 200 Litern mit der bewährten Schlauchmethode in den Vorratsraum zu leiten. Zumindest das Kapitel Rotwein ist damit für diese Saison schon so gut wie abgeschlossen. Was noch fehlt, sind die weißen Trauben, die aber noch etwas länger zur Reife benötigen, und die roten vom anderen Grundstück. Dort ist das Klima etwas rauer und demzufolge auch der Reifeprozess verlangsamt. Erfahrungsgemäß ergibt das auch noch eine größere Menge. Insgesamt also ein vergleichsweise gutes Jahr, was den Ertrag angeht.

Spätsommer und die Vorstellung einer Jahreszeit

Wenn ich jetzt bis später abends draußen an meinen Holz-Armbändern sitze, kommt es schon öfter vor, dass das Licht für die filigranen Arbeiten nicht mehr ideal ist. Daran sieht man, dass der Herbst seine Schatten deutlich vorauswirft. Auch in der Baum- und Strauchlandschaft sind herbstliche Akzente bereits unübersehbar. Das zeigt sich im Beginn der Laubfärbung, bei manchen Arten, wie den Pfaffenhütchen, schon fortgeschrittener als bei anderen. Oder am Reifegrad der Früchte. An einigen Weißdornen sind sie schon in Richtung Weinrot verändert. Wenn ich sie auf dem Spaziergang abpflücke und zerkaue, macht sich eine mehlige Konsistenz bemerkbar, schmackhaft jetzt zunehmend auch für die Vögel. Bei anderen Arten wie dem Schwarzdorn wird es aber noch eine ganz Weile dauern, bis sie die Früchte erntereif geworden sind. Ich freue mich darauf, dass die Landschaft insgesamt ins herbstliche Kleid getaucht wird. Wenn das mit diesem warmen Spätsommerlicht verbunden ist, entstehen wunderbare Eindrücke, die in ihrer eigentümlichen Kombination von Licht, Schatten, Wärme und Farbe eine unserer archetypischen Vorstellungen von einer Jahreszeit verstärken.

Selbstspiegelung im Alltag

Die nervenaufreibenden technischen Probleme dieses Tages haben mich schnell einen Ausgleich in der Holzarbeit suchen lassen. Interessanterweise hat sich das Problem kurz danach auch aufgelöst. Manchmal ist es eben gut, den Dingen ihren Lauf zu lassen, die man ohnehin selbständig nicht kontrollieren kann. Allerdings bin ich weit davon entfernt, die tägliche, auf unterschiedlichen Ebenen stattfindende Beschäftigung mit den Bäumen als eine Ablenkung zu betrachten. Es geht mir eher darum, gerade das in der symbolischen Stärke der Bäume herauszuarbeiten und in seinen endlos scheinenden Facetten darzustellen, was wir im Alltag aus der Beobachtung der Bäume über unser Sein und Werden als Menschen lernen können. Diese Selbstspiegelung am Beispiel und in Form der Bäume finde ich gerade das Faszinierende. Es enthält zahlreiche tiefe Geheimnisse, denen ich auf der Spur bin und von denen ich hoffe, dass sie nie so ganz gelüftet werden können.

Weißdorn-Rot

Die Pracht der Weißdornsträucher ist in diesem Jahr einfach begeisternd. Sie strahlen eine solche Urtümlichkeit und Lebendigkeit aus, dass man sich in der Begegnung magisch angezogen fühlt. Natürlich spielt dabei dieses intensive Rot der Früchte eine wesentliche Rolle. Ein Rot, das nicht bei allen Sträuchern gleich ist, in verschiedenen Nuancen zu beobachten ist und im Laufe des Spätsommers immer mehr abdunkelt. Obwohl ich das Motiv schon mehrfach hier abgebildet habe, konnte ich es heute nicht lassen, die Serie noch weiterzuführen.

Fruchttragender Weißdornstrauch
Zweig mit Weißdorn-Früchten
Zweig mit reifen Weißdornfrüchten
Reife Früchte des Weißdorns im Hochsommer

Das Transzendente im Natürlichen erkennen

Immerhin, die Sonnenstundenbilanz für diesen August ist minimal besser als bei dem ebenfalls ins Wasser gefallenen August 2010. Also doch nicht der lichtärmste Hochsommermonat der letzten Jahre. Den Eindruck hätte man aber doch gewinnen können. Zu bedauern sind wirklich die daheim gebliebenen Schulkinder, deren Ferien so sicher nicht die reinste Freude waren. Solche meteorologische Not soll aber auch seine kommunikativen Seiten haben. So haben die beiden 13-jährigen mir vor einigen Tagen erzählt, dass sie nie so oft Gesellschaftsspiele gespielt hätten wie in diesen Sommerferien. Da wir in der Familie den Garten, seine ästhetischen Seiten und die eigenen Erzeugnisse aus Garten und Streuobstwiesen quasi zum kleinsten gemeinsamen Nenner erkoren haben, fällt es mir auch bei solch eher widerständiger Witterung nicht schwer, den Kontakt zu halten. So verfolge ich die grünen Pflanzen und dabei vor allem die Bäume meiner Umgebung immer mit Aufmerksamkeit. Ihre Veränderungen, Früchte, ihr schrittweiser Rückzug im Herbst sind wichtige Bestandteile meines Naturerlebens. Und ich bin froh, so dem, wofür sie im weiteren Sinne stehen, immer wieder ein Stück näher zu kommen. Es scheint so, dass die transzendenten Dimensionen des Natürlichen zwischendurch immer wieder durchschimmern, wenn man sich kontinuierlich mit seiner Oberfläche und seinen symbolischen Implikationen auseinandersetzt. Das Baumtagebuch ist für mich ein wichtiger Baustein dieses Erkennens und Dazulernens.

Garten-Trauben-Ritual

Jetzt ist der Blick in den Garten wieder frei. Nachdem V. seine roten Trauben abgepflückt und die Reben zurückgeschnitten hatte, habe ich das große blaue Netz schrittweise von seinen Verankerungen gelöst und aufgerollt. Das ist immer knifflig, weil es natürlich an den vielen verknorrten Rebenabschnitten hängen bleibt und sich immer wieder verhakt. Aber jetzt ist es wieder zusammengefaltet und wartet auf seinen nächsten Einsatz. V. macht mit den Trauben nächste Woche weiter. Das spielt sich dann aber in einem Teil des Gartens ab, der nicht in der üblichen Blickachse liegt. Das stört uns weniger. Den Boden haben wir anschließend wieder gerechelt, die restlichen Blätterreste und Stängel entsorgt und die gefliesten Flächen abgeschruppt. Nun kann man sich wieder wohlfühlen, ohne dass die allgegenwärtigen Wespen einen beständig attackieren. Von den Abermillionen kleinen Mücken, die wie magisch vom süßen Obst angezogen werden, mal kann zu schweigen. Und beim Gang zum Regentank muss ich mich auch nicht mehr bücken, wie in den letzten Wochen, als die Trauben so schwer und tief hingen, dass ich mich ducken musste. Aber natürlich: Es ist ein Ritual, das in der Familie Tradition hat. Deshalb vor allem zeihen wir das durch, weniger wegen der nicht ganz so überzeugenden Menge dabei gewonnener Weintrauben.

Leichter Aufwärtstrend

Die erste Parzelle der hoch geleiteten Weinreben ist schon gelesen. V. hat das in diesem Jahr recht schwer gefallen. M. und ich haben anschließend drum herum wieder einiges in Ordnung gebracht, die Wicken entfernt, soweit sie ausgeblüht waren, andere verwelkte Stauden abgeschnitten. So können wir morgen alles zusammen mit dem bereits zurückgeschnittenen Weinlaub zur Grünschnittdeponie bringen. Wie der Ertrag in diesem Jahr sein wird, kann man jetzt noch nicht einschätzen. Insgesamt ist es in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Dadurch, dass wir im Frühjahr viel Sonne und in den letzten Wochen auch viel Regen hatten, ist das Volumen der Trauben aber nicht schlecht. Das sagt zwar nichts über die Qualität aus, lässt aber zumindest hoffen, dass die spärliche Literzahl des Vorjahres deutlich übertroffen wird. Ich kann mich nicht erinnern, dass V. jemals, mit Ausnahme eben des Vorjahres, nicht mit seinem eigenen Roten übers ganze Jahr versorgt gewesen wäre. Die mickrige Ernte vor einem Jahr aber hat ihn tatsächlich gezwungen, seinen Wein einzukaufen oder ganz zu verzichten. Immerhin damit, aber auch mit dem Honig, ist ein ganz leichter Aufwärtstrend festzustellen.

Früher Start der Weintraubenlese

Erntereife rote Trauben im Garten
Insektenfangbehälter unter Weinreben

Morgen will V. die ersten Weintrauben lesen. Eigentlich viel zu früh, wie jedes Jahr. Aber es ist eben immer dasselbe: Die Wespen stürzen sich frühzeitig auf die reifenden und süßer werdenden Früchte und die Vögel picken über Wochen daran herum. Viele Trauben sind dadurch schon ziemlich zerrupft, fallen zur Erde und sind nicht mehr zu gebrauchen. Was für ein Glück, dass sie in diesem Jahr so üppig ausfallen. Da sie in den letzten Wochen sehr wenig Sonne hatten, wird es wohl ein ziemlich mäßiger Jahrgang werden, auch wenn andere Reben in anderen Ecken des Gartens noch länger Zeit haben und etwas mehr Zucker bilden können. Die Phalanx von Netzen und Insektenfangbehältnissen spricht wohl für sich. Ich bin jedenfalls froh, wenn der Ausblick in den Garten wieder ansehnlicher wird und vor allem diese hässlichen blauen Netze verschwinden. Dann kann der schönere Abschnitt des Spätsommers beginnen, den ich hoffentlich noch lange bei den Aufenthalten und handwerklichen Arbeit im Garten genießen kann.

Symbolwerte und Energie

Bezüglich der Sonnenstundenbilanz für diesen Monat mache ich mir jetzt keine großen Hoffnungen mehr. Es ist so, als ob man sich in sein Wetterschicksal gefügt hätte. Na ja, solange es Baumfrüchte gibt, wird V. seine Ruhelosigkeit nicht ablegen und pausenlos pflücken, Bäume zurückschneiden, entkernen und keltern. Ich schätze, diese Phase wird noch mindestens 5-6 Wochen andauern. Eine Art Ausgleich für den Verlust an Eindrücken, die sonst um diese Jahreszeit in der Landschaft selbst gesammelt werden können. Und mit diesem Verlust rücken für die Menschen auch wieder stärker die symbolischen Werte im Natürlichen in den Vordergrund. Mehr Honigkunden für V. und M., mehr Interessenten für die Symbolarmbänder. Und auch für mich eine Möglichkeit, der Energie der Bäume durch die Arbeit an ihrem Holz zu begegnen.

Kreative Chancen im Wetterwechsel

Inzwischen glauben auch die eingefleischten Urlaubsfans nicht mehr daran, dass aus diesem Sommer noch etwas werden könnte. Ich finde, diese ungewöhnliche Temperatur Ende August hat auch etwas Beruhigendes. Die Beschleunigung des Sommers wird gewissermaßen zurückgenommen. Plötzlich stehen Projekte auf dem Plan, die man bei anhaltender Sommerhitze niemals angegangen wäre. Trotzdem ist alles zu früh. Die Ernte der Baumfrüchte, die Wechselhaftigkeit des Wetters, die viele Nässe, die nächtliche Kälte. Ohne einen ausgedehnten Altweibersommer, auf den ich immer noch hoffe, wäre das im Durchschnitt doch ein recht verkorkstes Jahr. Und es hatte doch so gut angefangen. Mit mehr Sonne in den ersten 6 Monaten als in den jeweiligen Monaten des Vorjahres. Und jetzt gleicht sich das alles wieder aus. Wollen wir das Beste daraus machen und herbstwinterliche Landschaftseindrücke nutzen, um unserer Kreativität einen Anstoß zu geben.

Persönliches Baumtagebuch von Bernhard Lux: Täglich begegne ich den Bäumen auf vielfältigen Wegen. An ihrem jeweiligen Standort in der Natur, in der Lektüre von Baum- und anderer Literatur, in der alltäglichen Reflexion, der handwerklichen Arbeit und im Gespräch mit der Familie oder Freunden und Kollegen. Es ist mir ein Bedürfnis, diese themenbezogenen Beobachtungen, Interaktionen und Kommunikationen in Form des Baumtagebuchs zu dokumentieren. Seit dem 20. November 2004 habe ich keinen einzigen Tag ausgelassen – ein Zeichen dafür, dass das Baumthema und der Baum als Archetypus tatsächlich im Alltagsleben verankert ist und vielfältige inhaltliche Assoziationen ermöglicht. So mag dieses Baumtagebuch jeden seiner Leser/innen auf die Spur einer je eigenen Beziehung zu den Bäumen führen.