Baumwunden und technische Effizienz

Der Kahlschlag, genauer das kerzengerade abrichten von Bäumen am Straßenrand mithilfe einer Fräse, war auf der heutigen Autobahnfahrt überall zu sehen. Zunächst fallen die an den Böschungen aufgestapelten Stammabschnitte auf, dann die teils wüsten Wunden, die die Fräse in die kahlen Baumgerippe geschlagen hat. Eine techniklastige Logik, die das Auge beschämt und wie eine Vergewaltigung der nichtsahnenden Bäume wirkt. Nur um wieder für einige Jahre Ruhe zu haben. M. meinte, die Linien seien noch nicht einmal gerade. Aber das sind sie tatsächlich wohl schon. Bei den unregelmäßig gepflanzten und je individuell gewachsenen Bäumen einer Reihe durchbricht die Maschinenlinie aber die über Jahre gewachsene und den Bedingungen am Standort geschuldete Individuelle Form, woraus etwas resultiert, das wie Zerstörung wirkt. Die Bäume werden das über lange Zeit irgendwie kompensieren, werden versuchen, von der Grundlage aus, ihr Wachstum neu auszurichten und eine neue eigene Form zu finden. Die natürlich entstandene Gestalt ist aber erst einmal unkenntlich gemacht.

Brutaler Routineschnitt bei Traubenkirschen

An den Wegrändern zeigen sich jetzt überall die Radikalrückschnitte großer Bäume, die von der Gemeinde häufig gegen Ende des Winters durchgeführt werden. In diesem Jahr waren es vor allem die hoch herausragenden Traubenkirschbäume, die fast auf halber Höhe abgesägt wurden. Für mich verwunderlich. Denn selbst hätte ich das bei einem Kirschbaum nicht gewagt. Wenn sie ähnliche Wuchseigenschaften wie Süßkirschen haben sollte, werden sie das nicht gut vertragen, wenn sie sich überhaupt wieder davon erholen. Wie immer scheint aber vor allem die praktische Erwägung im Vordergrund zu stehen. Den Laubfall der Bäume in Grenzen zu halten und eine Kollision mit Hochspannungsleitungen unbedingt zu verhindern. Die Folge ist aber auch ein wüstes Bild der Bäume, die zwischen Damm und Hinterhöfen gepflanzt sind, zurzeit also ihre abgrenzende Funktion, vor allem den Sichtschutz nicht leisten können. Es wird dauern, bis mit dem Laubaustrieb und der Blüte die brutalen Wunden unsichtbar werden. Und noch länger, bis die Bäume eine ihrer Art angemessene Gestalt wiedererlangt haben.

Rückblick zum Baumherbst

In den letzten Monaten hat sich einiges an neuem Bildmaterial angesammelt, zu dessen genauerer Durchsicht ich noch nicht gekommen war. Darunter viele Fotografien, die das jahreszeitliche Erscheinen der Bäume im Blick haben. Und wie so oft stelle ich fest, dass in der zeitlichen Distanz manches attraktiv wirkt, was im direkten Anschluss an die Aufnahmesituation durch das Aufmerksamkeitsraster gefallen war. Jetzt im Winter solche Bilder voller Licht, Farbe und Vitalität vor Augen zu haben, macht Freude und lenkt vom Einheitsgrau da draußen ab. Ich freue mich, so nachträglich mein Portfolio von Fotografien ergänzen zu können, die sich den Baumfrüchten im Spätsommer und Herbst widmen. So wie diese Hagebutten, Pfaffenhütchen und Weißdornfrüchte.

Hagenbutten im Herbst
Vollreife Pfaffenhütchen
Weißdorn im Spätherbst

Karge Farbakzente in der Baumlandschaft

Einer Erle bin ich auf dem heutigen Weg nicht begegnet. Aber die Haselsträucher stehen eindeutig in Blüte. Wenn die männlichen Blütenkätzchen länger werden und sich öffnen, sind gleichzeitig auch die winzigen roten weiblichen Blütenbüschel zu beobachten. Die übersieht man leicht, da sie so unscheinbar sind. Aber die vielen hängen Kätzchen leuchten an so strahlenden Tagen wie diesen in Beige-Gelb und bestimmen damit das ansonsten karge Aussehen der grauen Baumlandschaft. Daneben nimmt man als farbliche Akzente nur noch die alten verschrumpelten Hagebutten des Vorjahres wahr und, die aber besonders deutlich, die Schwefelflechten auf den Zweigen der Heckenrosen und des Weißdorns. Diese Flechten kombinieren ein leuchtendes Gelb mit einem Grund aus silbrig grauen Tönen. Besonders schön finde ich es, wenn sie an den Zweigansätzen solchen Zweige sitzen, die an den Enden mit zarter rötlicher Rinde neu austreiben. Dann haben wir sogar einen farblichen Dreiklang, der beim Vorbeigehen ins Auge sticht.

Natur als Konstrukt

Nach längerer Abstinenz ist jetzt der mittägliche Spaziergang in der Sonne wieder zur Regel geworden. Dieser vielleicht halbstündige Gang, der sich gelegentlich auch auf eine Dreiviertelstunde ausdehnt, hilft mir immer, den Kopf frei zu machen. Ein richtiges Auftanken, das sich für mich schon seit Jahrzehnten bewährt und anders, etwa bei Ruhepausen in geschlossenen Räumen, in der Form gar nicht zu realisieren ist. Dabei wird mir immer bewusst, wie weit wir uns bereits davon entfernt haben, uns in einer Landschaft mit grünen Pflanzen und Gehölzen wie selbstverständlich zu bewegen. Es findet vielmehr nur noch statt, wenn wir uns bewusst dazu entschließen. Das aber macht es zur eher seltenen Gelegenheit, die wir uns von unserer aktiven Arbeitszeit quasi abtrotzen müssen. Jammerschade und auch traurig scheint mir diese Entwicklung, die uns die Natur zum vollständigen Konstrukt werden lässt.

Atmosphärische Signale

Immer wenn die Sonne durchkommt, zieht es mich nach draußen. Nach all den trüben und kalten Tagen war heute erstmals wieder Frühlingsstimmung, frühlingshaftes Licht und auch eine Ahnung wärmender Frühlingssonne zu spüren. Das tut dann einfach gut, der Gang durch die Landschaft wirkt wieder belebend und nicht lähmend wie bei Hochnebel. Auch wenn die Baumlandschaft noch keine erkennbaren Regungen erkennen lässt. Es sind die Signale, die von solchen kleinen, aber deutlichen Veränderungen ausgehen, vor allem vom Licht, die uns auch innerlich auf eine Veränderung einstimmen. Der morgendliche Gesang der Amseln muss etwas bedeuten. Ich hoffe, sie unterliegen keiner Verirrung und ihr siebter Sinn, der weiter reicht als unserer zeigt tatsächlich den Wechsel der Jahreszeit an. Dann beginnen auch die Bäum wieder als Lebewesen in Erscheinung und einen lang anhaltenden Dialog mit uns zu treten.

Vintage Reading

Vintage Love Letter Reading

Nicht immer gelingt es, die notwendige Ruhe zu schaffen, oder besser von ihr auszugehen, die für gute Fotoserien unverzichtbar ist. An diesem seit langem erstmals wieder freundlichen und lichtreicheren Sonntag bin ich das lange angedachte Projekt angegangen. Eine Erweiterung meines Vintage-Portfolios, das verschiedene bewährte Elemente einbezieht und kombiniert: Ein altes, verkratztes und marmoriertes Buchcover, ein Briefmanuskript von um 1820, ein Damenzwicker inklusive einseitiger Kette mit Ohrsichel und zwei von Ms vor einigen Monaten getrockneten Rosenblüten, eine in Dunkelrot und eine in Gelb. Durchaus schwierig hat sich die Komposition aus der schrägen Aufnahmeperspektive gestaltet, in dieser Perspektive aber auch die spannenderen Ergebnisse erbracht. Nach einigen Teilserien konnte ich aber gute Motive herausarbeiten, die sich um das Thema Vintage Reading und Female Writing drehen werden. Erst in der Nachauswahl und -bearbeitung werden sich die wirklich starken Einzelaufnahmen herauskristallisieren. Ganz gute Chancen, nach den Baum- und Jahreszeitenthemen nun auch das unerschöpfliche Feld der Vintage-Thematik weiter auszubauen.

Aktualisiertes Portfolio

Ein bisschen präsentative Bewegung in meinen Armbänder-Portfolios tut der Gesamterscheinung gut. Inzwischen habe ich den größten Teil der Abbildungen zu Lebensbaum-Armbändern mit neueren Aufnahmen realisierter Armbänder ausgetauscht. Die Bilder entsprechen jetzt der Art, wie ich die Holzperlen aktuell herstelle. Vielleicht noch exakter als vor Jahren, auf jeden Fall mit einer deutlich sichtbaren Abrundung und Glättung der Kanten. Die war natürlich immer schon vorhanden, aber nicht ganz so ausgeprägt. Von optischen Differenzen abgesehen ist damit vor allem ein exzellenter Tragekomfort verbunden, gibt es doch nahezu nichts mehr, was zwicken oder einschneiden könnte. Mir scheint, die Eigenart der Holzarten und – wenn man so will – die Seele der Bäume kommt auf diese Weise noch klarer zum Ausdruck.

Autobiographisches zwischen Vergangenheit und Möglichkeit

Jüngst gab es gleich mehrere Reminiszenzen an meine bildhauerische Arbeit, deren aktive Zeit lange zurückliegt. Offenbar erinnern sich doch noch einige daran, was mich damals künstlerisch an der Arbeit mit Holz und Bäumen bewegt hat, an die Einzelarbeiten wie auch die Ausstellungen, die ich im Abstand einiger Jahre in der Region zeigen konnte. Diese Formen, all die damit im Zusammenhang stehenden Kommunikationen behalten auch langfristig eine Bedeutung. Und auch die Formen selbst sind natürlich noch existent, wenn sie auch aktuell eine veränderte, für mich selbst eher autobiographische Symbolik angenommen haben. Dass solche Anklänge an Vergangenes auftauchen, ist sicher nie Zufall. Es soll uns, soll mich an Wichtiges erinnern, soll den Stellenwert ins Gedächtnis rufen und vor die Seele stellen, den diese Arbeit haben kann, vielleicht ganz unabhängig von der konkreten Zeit. Das arbeitet im Inneren weiter und wird sicher auch irgendwelche Einflüsse auf aktuelles Denken und Wahrnehmen haben. Ob es die Möglichkeit einer Wiederaufnahme, einer Fortsetzung impliziert, wage ich nicht einzuschätzen. Wenn eine solche Möglichkeit Sinn macht, wird sie sich entfalten. Da bin ich sicher. So lange aber soll sie eine Möglichkeit bleiben.

Für eine typische Zuordnung von Charakterbildern

Die jüngsten Produktionen vor allem im Bereich der Lebensbaum-Armbänder haben mich dazu geführt, eine ganze Reihe von Musterabbildungen auszutauschen. Die neuen Aufnahmen geben die aktuelle Machart der Armbänder besser zu Ausdruck, vor allem die extrem sorgfältige Kantenglättung, die sich sehr deutlich auf die Gesamterscheinung auswirkt. So werde ich bald den ganzen Satz der 21 Hölzer / Bäume in der Form abbilden können, dass er den aktuell hergestellten Formen ziemlich nahe kommt. Von Zeit zu Zeit sind Korrekturen ohnehin notwendig, wie bei der Esche, für die ich derzeit einen ganz anderen Abschnitt verwende, dessen Färbung und Zeichnung dem entspricht, was man üblicherweise mit dieser Art in Verbindung bringt. Die alte Abbildung hat ein Armband aus untypisch gefärbtem Kernholz gezeigt, das zwar lebendig und ansprechend war, aber eben irritierend wirken kann, da das typische Eschenholz eben sehr hell und schillernd wirkt. Generell versuche ich, das möglichst Typische der jeweiligen Art auszuwählen, soweit das möglich ist und mir das entsprechende Material zur Verfügung steht. Denn die Formen leben vor allem von ihren symbolischen Implikationen, ihrem Bezug zur Mensch-Baum-Beziehung, die auf diese Weise für das einzelne Charakterbild leichter zuzuordnen ist.

Veränderter Umgang mit der Baumsymbolik

Im Bereich der Baumliteratur hat sich in den letzten Jahren doch einiges bewegt. Die einschlägigen Bestseller sind interessanterweise eher wissenschaftlich geprägt. Besonders interessieren solche Ansätze, die aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse rund um die Bäume und ihre ökologische Bedeutung leicht verständlich zusammenfassen und unterhaltsam darstellen. Daneben werden beeindruckende Bildbände immer wieder als anziehend aufgefasst. Weniger im Fokus scheinen dagegen zurzeit solche Baumbücher zu stehen, die den symbolischen Stellenwert, die differenzierte und weitreichende Symbolik der Bäume in den Mittelpunkt stellen. Schade, mein Lieblingsthema scheint verweist, obwohl ich aus vielen Gesprächen weiß, es bewegt die Menschen nach wie vor. Vielleicht auf eine eher private Weise. Vielleicht so, dass viele die Zwiesprache mit den Bäumen, das genaue Beobachten und Verfolgen der Veränderungen im Jahreslauf für sich, ohne zusätzliche Reflexion anhand von Baumliteratur suchen. Das fände ich auch spannend, zeigt es doch, wie tief das Baumthema im Alltag verwurzelt ist und wie natürlich das Spiegeln eigener Befindlichkeit in der Präsenz und Ausstrahlung der Bäume funktionieren kann. Gut, dass sich auch diese Auseinandersetzung stetig verändert. Das hält sie lebendig.

Warme Holzmöbel

In diesen ungemütlichen Wintertagen genieße ich die Holzofenwärme. Es kommt deshalb kaum mehr vor, dass wir das Nachlegen vergessen. Überhaupt kann alles Kompensierende, was Wärme ausstrahlt, den Tag angenehmer gestalten und die für Gelenke, Muskeln und Gemüt schädliche Witterung in den Hintergrund drängen. Gerade jetzt schätze ich auch meine teils selbst entwickelten Holzmöbel, vor allem die Schreibtischplatte aus Walnussbaum und Birke, die inzwischen ihr Gleichgewicht mit der Luft des Arbeitsraums gefunden zu haben scheint. Da zahlt es sich aus, dass sie nur mit Öl getränkt ist und auf diese Weise noch atmen kann. Lange hat es gedauert, bis sie ihre Fleckigkeit verloren und das Öl sich regelmäßig verteilt hat. Direkt auf einer solchen Platte zu arbeiten, vermittelt ein gutes Gefühl, einfach angenehmer als ein mit Lack behandeltes Möbel.

Frühlingsbewusstsein in der Verstärkung von außen

Dem Frühling trauen die Menschen lange noch nicht. Vielmehr scheint in den Köpfen und dem Gemüt der Winter zwischenzeitlich wieder eingezogen zu sein. Jedenfalls will die sich die Aufbruchstimmung, der Tatendrang noch nicht Bahn brechen, der für den Frühling steht und der sich im Angesicht des Frühlings der Bäume gewöhnlich auf die Menschen überträgt. So sind wir zurzeit doch noch sehr der Erde verbunden, sind bodenverhaftet, gedanklich und oft auch kommunikativ tendenziell nach innen gekehrt. So lange, bis der Punkt überschritten ist, an dem sich die Zeichen von außen häufen, die uns anzeigen, dass die Veränderung in den natürlichen Prozessen nicht mehr umkehren lässt. Es scheint so, dass wir diese deutliche Verstärkung von außen benötigen, um selbst Mut zu fassen.

Ein umfassender Blick auf die Bäume

Das neue Baumbuch aus der Schweiz „Die Bäume und das Unsichtbare“ wirft einen stärker wissenschaftlichen Blick auf die ökologische, symbolische und für das individuelle Leben aller Menschen relevante Bedeutung und Einflussnahme der Bäume. Es war vor allem der Titel, der mein Interesse geweckt hat. Aber schon aus den ersten Seiten konnte ich ablesen, dass diese Entdeckung nicht umsonst war. Der Autor scheint sich sehr umfassend, nicht nur aus aktuell naturwissenschaftlicher Sicht, mit den Bäumen zu beschäftigen, indem er auch geisteswissenschaftliche, kulturhistorische und philosophische Annäherungen berücksichtigt. Darin sind schon einige Hinweise auf die globale ökologische Bedeutung der Bäume enthalten, die weit über das hinausgehen, was man aus populärwissenschaftlichen Beiträgen in Zeitschriften und der verbreiteten Baumliteratur kennt, die solche Themen meist nur als Randnotiz und im Rahmen einer sehr komprimierten Einleitung abhandelt. Nach diesen ersten Hinweisen bin ich gespannt auf die weitere Lektüre. Sie wird mir weitere Facetten meines Lieblingsthemas offenbaren, nämlich die Rolle der Bäume als archetypische Lebenssymbole und essenzielle Lebensbegleiter noch besser zu begreifen.

Persönliches Baumtagebuch von Bernhard Lux: Täglich begegne ich den Bäumen auf vielfältigen Wegen. An ihrem jeweiligen Standort in der Natur, in der Lektüre von Baum- und anderer Literatur, in der alltäglichen Reflexion, der handwerklichen Arbeit und im Gespräch mit der Familie oder Freunden und Kollegen. Es ist mir ein Bedürfnis, diese themenbezogenen Beobachtungen, Interaktionen und Kommunikationen in Form des Baumtagebuchs zu dokumentieren. Seit dem 20. November 2004 habe ich keinen einzigen Tag ausgelassen – ein Zeichen dafür, dass das Baumthema und der Baum als Archetypus tatsächlich im Alltagsleben verankert ist und vielfältige inhaltliche Assoziationen ermöglicht. So mag dieses Baumtagebuch jeden seiner Leser/innen auf die Spur einer je eigenen Beziehung zu den Bäumen führen.