Das Formlose erfahren

Blumen, Vögel, Kristalle und Edelsteine erkennt der amerikanische Weisheitslehrer Eckhart Tolle als Manifestationen, die uns Menschen das Formlose im Alltag erfahrbar machen. Und uns damit unserem wahren Selbst näher bringen. Sie stellen ebenso wie neugeborene Menschen oder Tiere die Oberflächenwelt in Frage, lösen sie quasi auf zu Gunsten des noch nicht Fertigen, des unglaublich tief Gehenden, des mit Verstand nicht Fassbaren. Das Erlangen von Weisheit setzt damit den Verzicht auf reine Verstandesaktivität voraus. Blumen, Vögel, Kristalle und Edelsteine können uns durch ihr bloßes Da-Sein, durch ihr oft unvermitteltes Auftauchen im Lebensalltag dabei helfen, diese innere Weisheit zu gewinnen, Klarheit in unser Leben zu bringen. Was mir bei dieser Aufzählung sofort aufgefallen ist: Er hat die Bäume vergessen. Und gleich danach dachte ich: Vielleicht haben die Bäume doch einen etwas anderen Status. Oft schon habe ich bemerkt, dass Bäume die wohl hervorragendsten Anlässe für Selbstreflexionen des Menschen sind, dass der Mensch sich in ihnen spiegeln kann, dass eine gewisse auch körperliche Nähe und Parallelität zwischen beiden Seinsformen besteht und von vielen Menschen auch so wahrgenommen wird. Könnte man das auch für Blumen beispielsweise sagen? Wohl nicht, die Blumen führen uns auf das Formlose zurück, faszinieren uns durch ihre übernatürliche Schönheit und unwahrscheinliche Wohlgeformtheit. Aber sie spiegeln nicht uns selbst bzw. wir uns nicht in ihnen, wie das in unserem Verhältnis zu den Bäumen gesagt werden könnte. Die Richtung ist die gleiche, aber der Weg dieser Vermittlung des Formlosen ist ein jeweils anderer. Auch die Bäume führen uns in eine Welt, die vor dem Denken, Sprechen und Schaffen liegt, die immer schon unseren Hintergrund darstellt, ohne dass wir es mit Ausnahme weniger Augenblicke der Erleuchtung überhaupt bemerken. Sie führen uns in eine Welt, aus der wir ursprünglich kommen, und aus der wir uns in der materiellen Lebenskonstruktion verlaufen haben. Sie machen uns die Hintergrund-Welt in unserer Kunst-Welt zumindest punktuell sichtbar, lassen sie durchleuchten und bereichern damit enorm unser Lernen und Fortschreiten, bevor wir wieder zurückkehren, um einen neuen Zyklus einzuleiten.