Wann dürfen Bäume gefällt werden?

Aus dem Pinneberger Tageblatt vom 03.08.2006

Kein Freund, der Baum
Von Oliver Gabriel

Man stelle sich einmal vor, welche Geschichten große, alte Bäume erzählen würden – wenn sie erzählen könnten. Menschen können, und sie müssen, respektive mussten auch, wenn sie etwa begründen wollten, warum dieser oder jener stumme Riese gefällt werden sollte. Denn bis 2004, bis also die alte Baumschutzsatzung abgesägt wurde, und voraussichtlich noch in 2006, wenn eine neue Light-Version in Kraft tritt, galt beziehungsweise gilt: Als per Grundgesetz sanktionierte Enteignung des Einzelnen soll Baumschutz dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Und da muss eben der Einzelne stichhaltig und nachvollziebar aufzeigen, warum in Einzelfällen sein Wohl vorgeht.

Das tut er auch, weiß Gerhard Seggelke aus der städtischen Leitstelle Umweltschutz. Bei ihm liefen die Fällanträge auf – ,,zum Großteil mit guter Argumentation“, wie der Verwaltungsmitarbeiter berichtet. So wurden denn auch von 1987 bis 2004 insgesamt 2455 Anträge für 3541 zu sägende Bäume genehmigt, die unter die Schutzsatzung fielen. Entspricht einer Quote von etwa 85 Prozent. Nicht in jedem Fall musste Seggelke dabei innerhalb des eigenen Ermessensspielraums entscheiden. Teils besteht ein klarer Rechtsanspruch auf Fällungen.

Was aber, wenn sich die Frage stellt, ob die Beeinträchtigungen durch einen Baum im Garten, vor dem Haus oder am Parkplatz zumutbar sind oder nicht? Da ist die Palette von einleuchtend bis skurril bunt und breit gefächert. Ganz oben rangiert offenbar elterliche Fürsorge auf der Begründungs-Liste.

So wollte ein Vater seinen kleinen Sohn per Fällantrag schützen: Eine Kastanie müsse weichen, da die Früchte dem Kind im Herbst auf den Kopf fallen und es verletzen könnten. Oder die Mutter, die eine Birke vor dem Autostellplatz ihres Sohnes für unzumutbar hielt. Ständig müsse der Filius wegen des Taubendrecks in die Waschanlage fahren. Da könnte die Stadt doch mal zur Säge greifen, zumal Sohnemann schließlich auch viel für diese tue.

Ganz tief in die Niederungen des Tierreichs aber nahm ein Familienvater Seggelke mit, der das Baumproblem buchstäblich auf die Spitze trieb. Der Mann wollte eine alte Kiefer abholzen lassen – nicht bei sich selbst, sondern bei der Nachbarin. Begründung: Regenwürmer würden die Nadeln, die auch in seinen Garten fielen, in ihre Löcher in den Boden ziehen. Derart zu kleinen Speer-Fallen umfunktioniert, verletzten die Baumabfälle die Kinder beim Herumtollen.

Zukunftsängste haben sich ebenfalls breit gemacht in dem einen oder anderen Antrag. Der Baum wird doch riesengroß, hörte Seggelke ein ums andere Mal. Auch Mauerklinker-Risse durch Wurzelwerk wurden schon geltend gemacht. Nicht selten vorgebracht seien drohende Depressionen oder Krankheit durch Schattenwurf. Speziell Birken sind ein ums andere Mal ins Visier gekommen, da ihre Pollen bekanntlich nicht nur Allergien verursachen können, sondern – weniger bekanntlich – auch Autolackierungen nicht gut tun. Indes: Seggelke hat sich angehört, geprüft und am Ende hieß es Daumen hoch, aber auch Daumen runter für die Säge.

Und er darf sich auf neue Baumgeschichten freuen: Schon ab Herbst sollen wieder stumme Riesen per Satzung geschützt werden – weniger und deutlich größere als vormals, doch auch sie dürften wieder so manch skurrile Stories ins Rathaus bringen.