Autoreflexion und Auflösung

Den ganz langen Weg zur Schleife bin ich schon seit Jahren nicht mehr gegangen. An diesem moderat warmen Sommertag mit frischem Wind war es aber wieder stimmig, zudem ich heute keine Kamera mitgeführt habe, was ansonsten deutlich mehr Anstrengung erfordert. Tatsächlich gibt die aktuelle Phase des Sommers wenig Motivreiches preis, es hätte sich also auch nicht gelohnt. Umso mehr Aufmerksamkeit bleibt für das Gehen selbst – ich erinnerte mich an meine vor Jahren einmal verfolgte Beschäftigung mit der Gehmeditation – und für die Stimmung und jeweilige Situation auf dem immer interessanten und immer auch veränderlichen Weg. Das konnte deshalb ein wohltuender, wenn man so will auch erkenntnisreicher Gang sein, der es mir erlaubt hat, im Freien die umwälzenden Reflexionen und seelischen Turbulenzen der letzten Wochen in gewisser Weise zusammenzuführen, noch klarer zu fassen, mir noch klarer zu werden, worum es eigentlich ging und was das bedeuten könnte. So war es auch eine Art autobiographischer Gang, denn bei den Gedanken waren viele, die sich mit der eigenen Biografie, gewissen Erfahrungen, vor allem mit dem Verhältnis von menschlich positiv berührenden Erlebnissen und ebensolchen Enttäuschungen befassten. Es war sicherlich die ganz besondere klimatische Situation, dieser Lieblingsweg, der Sonntag und nicht zuletzt die mir so vertrauten Bäume und Pflanzen am Wegrand, die diese Auflösung möglich gemacht haben. Eine vorläufige Klärung und Auflösung, die ohne die natürlichen Helfer in der Landschaft nicht vorstellbar gewesen wären. Ich hoffe sehr, diese Erfahrung auch langfristig integrieren zu können. Mit in diesen Zusammenhang gehört auch die neuerliche Erkenntnis, dass die ernste Musik wieder zum regelmäßigen Bestandteil meines Alltags werden sollte, auch wenn ich mich heute nur auf die reine Rezeption beschränken möchte.

Baummetamorphosen II

Die jahreszeitlichen Überlappungen im aktuellen Erscheinen der Bäume hat mich auch heute wieder beschäftigt. Beim Wildapfelbaum und beim Weißdorn sind es die mumifizierten Fruchtrelikte des Spätherbsts, die mit dem gleichzeitigen Aufbrechen der Blatt- und Blütenknospen zu sehen sind. Interessant ist, wie beides genau im gleichen Stadium angekommen ist, nur eben gegenläufig. Die denaturierten Früchte stehen kurz davor, sich endgültig von den Zweigen abzulösen, während die Blütenblätter kurz davor stehen sich zu öffnen. Eine wunderbare symbolträchtige Szenerie, wie ich finde, die angesichts des oft gestörten Rhythmus‘ im jahreszeitlichen Wechsel die Existenz der Jahreszeiten am konkreten Beispiel dennoch aufblitzen lässt.

Jahreszeitliche Baummetamorphosen (Wildapfelbaum)
Jahreszeitliche Baummetamorphosen (Weißdorn)

Jahreszeitliche Baummetamorphosen

Das ist gerade eine Übergangszeit, in der viele frühe Baumblüten schon wieder vergehen und andere Arten erst beginnen, ihre Blütenknospen zu öffnen. Immer wieder skurril finde ich, wie sich die Entwicklungsphasen der Bäume über lange Zeitphasen überschneiden können und dabei manchmal zwei Stationen überbrücken. Aufgefallen war mir das schon vor Tagen an manchen Wildapfelbäumen, deren kleine Äpfelchen wie schwarz verschrumpelte Kohlen an den Zweigen hängen. Der Winter und all der Regen und Frost konnte sie noch nicht von den Zweigen lösen, während sich neues Frühlingsgrün neben ihnen ausbreitet. So beobachte ich dasselbe heute bei den Schlehdornhecken, die immer noch fast mumifiziert wirkende Früchte vom Vorjahr in großer Zahl tragen, während ihre neue Blütephase schon wieder fast abgeschlossen ist. Das strahlt eine doppelte Morbidität aus und lässt das Vergehen in den Zwischenzeiten üppigen Frühlingswachstums immer wieder hervorscheinen, um bald schon wieder von reichem Blattgrün und neuen Früchten abgelöst zu werden. Bei den Heckenrosen sind es die eingeschrumpelten, dunkelrot bis schwarz gewordenen Hagebutten, die immer noch zu sehen sind, während sich die neuen Blätter schon breit machen. Es ist, wie wenn die Bäume und Sträucher mitten in der Weiterentwicklung die andere Seite der Auflösung mit sich tragen und das zwischendurch auch zeigen.

Jahreszeitliche Baummetamorphosen I (Schlehdorn)
Jahreszeitliche Baummetamorphosen II (Schlehdorn)
Jahreszeitliche Baummetamorphosen III (Heckenrose)
Jahreszeitliche Baummetamorphosen IV (Heckenrose)

Blattauflösung im Sommerlicht

Eigentlich war ich auf der Suche nach den Seerosen, von denen mir vor einigen Tagen eine Spaziergängerin erzählt hatte. Sie sollten in einer der Kiesgruben zu finden sein und prächtig blühen. Die Seerosen konnte ich jetzt, einige Tage später, leider nicht mehr ausfindig machen. Aber die Bäume in der Nähe hielten in der Mittagsstunde einige interessante Impressionen bereit. Eine davon ist dieser Blick auf einen Zweig mit teilweise in Auflösung befindlichen Blättern, die noch ihre ursprüngliche Struktur erkennen lassen. Ein spannender Kontrast zu dem üppigen Wuchern des Blattgrüns im Hochsommerlicht, in das man im Umfeld eintauchen kann.

Sich auflösende Blattstrukturen im Sommerlicht