Fokusverschiebung bei Baum-Themen

Der Aufmerksamkeitsfokus in der Beschäftigung mit den Bäumen als Thema hat sich möglicherweise in den letzten Jahren verschoben. Meinem Eindruck nach stehen zurzeit Illustrationen mit ästhetisierend-symbolischem Schwerpunkt im Mittelpunkt des Interesses, sprich Bildbände mit der Darstellung besonders eindrucksvoller, meist alter, in jedem Fall aber auf Grund einzelner Merkmale besonders beeindruckender Baumindividuen. Das zweite Interesse richtet sich an populärwissenschaftliche Zusammenfassungen neuerer Erkenntnisse zur Art, mit der Bäume als Lebewesen mit ihrer Umwelt in Beziehung treten und sich an ihrem jeweiligen Standort behaupten. Die inhaltlich-symbolischen Aspekte dagegen scheinen in den Hintergrund getreten zu sein. Für mich bleiben diese aber nach wie vor die eigentlich spannenden Dimensionen der Baumthematik. Vielleicht etwas abstrakter und nicht immer im ersten Moment zugänglich, aber doch so, dass sie die Baum-Mensch-Beziehung am besten beschreiben und die Relevanz der Bäume in unserem Alltag in ihre zahlreichen Facetten auflösen können. So man sich denn mit diesen Fragen beschäftigt. Die verschiedenen Vorhaben rund um die Lebensbaum-Begrifflichkeit sind für mich eine große Zukunftsaufgabe. Mehr Zeit und Muße, mich dem zu widmen, würde ich mir wünschen. In Ausschnitten und Teilbereichen versuche ich das aber jetzt schon voranzubringen, u. a. durch die tägliche Arbeit am Baumtagebuch.

Einer dieser ungemütlich ausgedehnten Winter

Die Sonnenbilanz dieses Monats wage ich schon gar nicht mehr genauer zu verfolgen. Das Dauerdunkel, lediglich tageweise durch längere Sonnenabschnitte unterbrochen, wie z. B. gestern, beschert uns wohl das schlechteste Februar-Ergebnis der letzten sechs Jahre. Es sei denn, die Wetterlage wendet sich und das letzte Drittel des Monats wird deutlich lichtreicher. Die Hoffnung auf einen frühen Frühling und einen frühen Beginn der neuen Vegetationsperiode schwindet damit zusehends. Und damit auch die Chance auf eine gute Ernte bei den Arten, die viel Licht und eine lange Sonnensaison benötigen, allen voran ist das der Feigenbaum. Vielleicht wird das wieder einer dieser nicht enden wollenden Winter, die weniger durch knackige Kälte als durch Dauerregen bei ungemütlichen Temperaturen auffallen. Solange das so bleibt, werden wir weiter mit Holz feuern. Das vertreibt zumindest im Haus die wettertrübe Stimmung beim Blick durchs Fenster.

Geölte Oberflächenveränderung

Die Oberfläche des Walnussbaumschreibtischs zeigt sich jetzt, nach einigen Wochen Benutzung, doch empfindlicher als erwartet. Das Öl ist nun dabei, auszuhärten und erste Kratzer und Gebrauchsspuren sind auf dem recht weichen Holz bereits zu erkennen. Zumindest bei sehr hellem Licht und von der Seite aus betrachtet. Das an sich ist in Ordnung und gehört dazu. Allerdings hat sich an einer Stelle auch eine fleckige Verfärbung gezeigt, die ich mir nicht ganz erklären kann. So als ob dort das Öl verschwunden sei, auch ist es dort etwas rauer als zuvor. Möglicherweise reagiert dieses Öl ja mit der Haut, wenn die Hand z. B. längere Zeit auf einer Stelle ruht und sich Körperwärme überträgt. Ich werde die Stelle wohl noch einmal kräftig einreiben und dann sehen, ob es sich wieder vereinheitlicht. So hat die atmende Holzoberfläche offenbar auch so ihre Tücken. Und die Imprägnierwirkung des Öls seine Grenzen. Die Langzeitbeobachtung wird mir zu einem fundierteren Urteil verhelfen.

Ofenwärmecharaktere

Zu der besonderen Wärme, die Holzbrandöfen ausstrahlen, haben die Menschen ganz unterschiedliche Einstellungen. Eine Besucherin hat gleich nach Betreten des Raums heute ihre Jacke abgelegt, geradezu erschrocken über die „Hitze“. Andere zieht gerade diese wohlige Wärme magisch an. Uns selbst geht’s ja auch so, und auch die Einschätzung, das die Holzofenwärme prima ist für nass-kalte Tage, nicht nur für grimmigste Winterkälte, hat einer unserer Bekannten ebenfalls geteilt. Mit unserem Brennholzvorrat, den wir vor einigen Monaten an einem Tag gesägt und gestapelt haben, werden wir in dieser Saison auskommen. Es wird nicht notwendig sein, etwas nachzuholen. Vielleicht ist ja der Holzlagerplatz dann im Sommer frei für Gartenutensilien und Arbeitsgeräte.

Gedächtnis der Bäume

Auf die wärmeren Tage freue ich mich jetzt schon. Es ist im Winter vor allem die Arbeit mit Holz, die mir die fehlende Wärme, das satte Licht symbolisch zurückgibt, ein Stück weit kompensiert. Holz erscheint mir immer wie kondensiertes Licht, hält den Baum, von dem es stammt, noch symbolisch und energetisch in sich – und damit vieles, was in der jeweiligen Baumart Wesentliches enthalten ist. Ein Grund, warum ich Hölzer so gerne zu tragbaren Formen umwandele. Nicht nur im Winter ist das eine gute Möglichkeit, die Energie der Bäume präsent zu halten, wenn wir ihnen nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen und die Gelegenheit fehlt, ihr Wachstum, die Veränderungen im Lauf der Jahreszeit zu verfolgen. Das Holz hat dies alles wie ein Gedächtnis gespeichert. Das lässt sich im direkten Kontakt mit ihm noch häufig erspüren, besonders wenn die natürlichen Prozesse selbst Gegenstand unserer Gedanken sind.

Lebensholz und Baumseele

Die Vorstellung, zu einer bis zu vorkeltischen Zeiten zurückreichenden Ahnenreihe zu gehören, ist an sich schon faszinierend. Das gilt besonders dann, wenn sich das mit dem Anspruch verbindet, einen exklusiven Zugang zu den Seelen der Bäume zu haben. Auf dieses Thema bin ich auf Umwegen jetzt wieder gestoßen. Vor über 15 Jahren ist es mir erstmals begegnet, auf der Suche nach Literatur und Ideen zum Lebensbaum-Begriff. Dabei ist mir auch der Begriff Lebens-Holz aufgefallen, der von den Dusty Millers aus England geprägt wurde und auf eine ursprüngliche Art der Kommunikation mit den Bäumen verweist. Schwer einzuschätzen sind solche Ideen bzw. Ansprüche, wenn Sie auf einem verbal geäußerten Anspruch aufbauen. Legitim ist es aber auf jeden Fall, sich z. B. in von diesen angebotenen Seminaren zu vergewissern, ob man als Nicht-Mitglied der Familie ebenfalls eine Resonanz verspürt oder aufbauen kann. Das wäre dann eine echte Erweiterung der Erfahrungsmöglichkeiten in Bezug auf das Individuelle der Bäume, das ich mir so gerne aus dem Blickwinkel der Symbolik betrachte.

Zäher Feigenbaum

Eigentlich wäre es heute der geeignetere Tag für die anstehende Holzarbeit gewesen. Aber es stand noch zu viel auf der Aufgabenliste, das vorab zu erledigen war. So werde ich morgen bei fast Frosttemperaturen die Außenarbeit angehen, allerdings nur für ein Objekt, das hält sich dann zeitlich in Grenzen. Auch V. zieht es zurzeit wenig nach draußen. Die wohltuende Ofenwärme der letzten Wochen hat uns da ein wenig verwöhnt, und überhaupt können wir jetzt den Winter auch nicht mehr vertragen, sind kopfmäßig schon auf das Frühjahr eingestellt. Mein Blick richtet sich unterdessen immer häufiger auf die Gartenbäume, die zurückgeschnitten werden müssen. Es ist vor allem der Feigenbaum, der diesmal besondere Herausforderungen stellt und bei dem ich noch keine richtige Idee habe. Sollen wir ihn vollständig zurückschneiden und nur die jungen Wurzelsprosse stehen lassen. Oder soll ich wiederum versuchen, eine Kronenform herauszuarbeiten, mit den noch einigermaßen gesunden Abschnitten. Das wird immer schwieriger, allerdings haben wir den Baum schon öfter totgesagt, woraufhin er einen unbändigen Lebenswillen demonstriert hat und reichlich Frucht trug. Wir werden abwarten müssen, wie weit das Durchhaltevermögen dieses Exoten noch reicht.

Ausgleichssituationen

Wahrscheinlich wird das wieder ein Holzarbeitswochenende. Eigentlich gut und wohltuend nach so viel Bildschirmaktivität, Texten und Gestalten auf anderem Gebiet. Die handwerklichen Arbeiten bringen da einen Ausgleich, der entspannend wirken kann, auch wenn sie zum Teil körperlich anstrengend wirken. Es ist diese Abwechslung oder auch das Vermeiden von Einseitigkeit, die vielleicht ein Schlüssel für gesundheitliche Stabilität und seelische Ausgeglichenheit ist. Jedenfalls in dem Bereich, den wir tatsächlich beeinflussen können. Keine Garantie, aber ein Baustein, der in unserer Hand liegt. Ich wünsche mir für alle, die diese Erfahrung ebenfalls gemacht haben, den Mut und die Konsequenz, solche Ausgleichssituationen immer wieder herstellen zu können.

Die natürliche Resonanz wiedergewinnen

Wieder einer dieser rastlosen Tage, die so gar nicht zu seinem offiziellen Charakter passt. Jedenfalls kann man sich den Beginn der Fastenzeit ruhiger vorstellen. Dagegen steht die Betriebsamkeit der Projekteabwicklung im krassen Gegensatz zur Unwirtlichkeit des Wetters und dem, was die Jahreszeit eigentlich in unsere Biologie einschreibt. Längst haben wir uns von diesem Leben in Anpassung an die natürlichen Verhältnisse abgekoppelt, folgen die Impulse und Aktivitätskurven einer ganz eigenen, selbst entwickelten, kommunikativ und kulturell gesteuerten Logik. Aber dadurch entstehen auch ungesunde Diskrepanzen und wahrscheinlich die eine oder andere Erkrankung. Ich versuche diese Kreisläufe immer wieder zu durchbrechen, mir das Ganze bewusst zu machen und damit das Einzelne zu relativieren. In der Beschäftigung mit dem grundlegenden Charakter der Bäume, genauer mit dem, was sie mit uns gemeinsam haben, gelingt mir das häufig, aber nicht immer. Es ist immer wieder eine Herausforderung, der ich mich im Trubel des Alltagsgeschäfts gerne stelle. Gerade weil ich die Notwendigkeit zu dieser wieder stärkeren Resonanz auf die natürliche Umwelt sehe.

Frühlingsspekulationen

V. und M. vergessen in den letzten Tagen immer wieder, Brennholz nachzulegen. Deshalb ist die Glut immer wieder fast erloschen. Ist das eine Art Vorahnung, dass der Winter nun bald dem Frühjahr weicht. Wenn ich heute hinausblicke, wage ich kaum daran zu denken, so ungemütlich geht diese Fastnachtszeit ihrem Ende entgegen. Schon eher ein Wetter für die Fastenzeit, aber eindeutig noch winterliche Züge tragend. V. hat am letzten Wochenende bereits seinen Nashi-Birnenbaum zurückgeschnitten. Das schien mir etwas früh, immerhin kann bis zum neuen Austrieb noch einiges passieren, inklusive empfindlicher Nachtfröste. Ich denke, für den Feigenbaum, ohne in seinem jetzigen Zustand ein richtiger Problemfall, und auch mit dem Maulbeerbaum werde ich noch einige Zeit abwarten. Am besten so lange, bis sich der Frühling spürbar ankündigt. Danach dauert es erfahrungsgemäß ohnehin noch einige Wochen, bis sich tatsächlich etwas in den frischen Knospen regt. Die meisten Arten sind da sehr vorsichtig und wagen das Knospen erst, wenn sie ziemlich sicher sind.

Ungewöhnliche Rosenmontage

Der wohl verregnetste Rosenmontag, an den ich mich erinnern kann. Dabei haben wir schon sehr häufig sonnige Rosenmontage erlebt. Einer, der mir genau in Erinnerung ist, gerade wegen seiner frühlingshaften Stimmung, ist aus dem Jahr 1996 – jetzt, da ich es schreibe, sehe ich, das sind schon ganze 20 Jahre her, unglaublich. Damals habe ich meine Ausstellung mit Holzskulpturen, die auch damals schon überwiegend Baumskulpturen waren, im Schlösschen abgebaut. Der Kulturabteilungsleiter meinte, das sei ungesund an einem Rosenmontag. Aber für mich war das eine eher meditative Arbeit, so ganz allein und in Ruhe die Skulpturen stoßsicher zu verpacken und abzutransportieren. Ich konnte dabei die schöne Ausstellung und ihre positiven Resonanzen ungestört rekapitulieren. Ein Kontrastprogramm zwar zum turbulenten Fastnachtstreiben, aber gerade deshalb so eindrücklich, dass es mir über zwei Jahrzehnte detailreich im Gedächtnis geblieben ist.

Mit Bäumen weite Bögen spannen

Das geheime Leben der Bäume beschäftigt mich immer noch. Das liegt nicht nur an dem spannenden Thema, sondern daran, dass mir für die Baumliteratur schon seit längerem wenig Zeit bleibt. So habe ich den Bestseller immer noch nicht durch, vielleicht aber bis zum Ende der Fastnachtszeit. An dieser Lektüre schätze ich vor allem die wohltuende Zeitlosigkeit, die von Themen dieser Art ausgeht. Da kann in der sonstige Welt passieren was will, die Bäume spannen mit ihrer Biologie, Geschichte und mit ihrem ganz speziellen Sozialleben, vor allem aber mit den vielen symbolischen Bezügen, die wir selbst im Zusammenleben mit ihnen entdecken und nahezu täglich aktualisieren, einen ganz weiten Bogen, der kurzfristige Entwicklungen überdeckt und eigentlich auch unabhängig von einem einzelnen Menschenleben ist. In diesen Bezügen kommt das Eigentümliche der Spezies und ihrer Arten im Verhältnis zu menschlicher Eigenart zum Ausdruck. Für uns immer wieder ein Anhaltspunkt für die Selbstspiegelung und Selbstvergewisserung.

Die Freude am Unerschöpflichen

Beim Streifzug durch unser Lieblingsgeschäft für Wohnaccessoires hätten wir beinahe ein kleines Bäumchen mit Glitzerzweigen und Glitzer-Boden mitgenommen. Bei solchen funkelnden Gestaltungen, besonders natürlich wenn es um Baumformen geht, kann ich eigentlich nicht widerstehen. Zumal es kein Weihnachtsbaum ist, sondern ein Baumsymbol allgemein, das zu allen Jahreszeiten Gültigkeit haben kann. Letztlich ist die Wahl aber dann doch auf eher österliche Dinge gefallen, dem bevorstehenden Fest geschuldet. Und auch das ist so ein Thema, bei dem sich für mich eine fast kindliche Faszination Raum schafft. Eine Form, wie ich finde, die Jahreszeiten mit ihren Festen bewusst wahrzunehmen und aktiv zu erleben, was sich immer auch an konkreten Formen festmacht. Ich freue mich, wenn es uns – immer wieder und immer noch – gelingt, die Freude am Durchdringen des ebenso Bekannten wie Unerschöpflichen zu pflegen.

Willkommene Ausnahme

Fast alle sind jetzt im Fastnachtsmodus, selbst die, die dem Thema wenig Begeisterung entgegen bringen. Einfach weil sie den Begeisterten begegnen und die sich eben in Ausnahmestimmung befinden. So ist es wie jedes Jahr um diese Zeit: Die Menschen nehmen die tollen Tage als willkommene Ausnahme wahr und freuen sich, dass die Routine einmal ausgesetzt werden kann. Ich finde diese Stillstandzeiten immer sehr anregend, weil man dann so gut beobachten kann. Das Interesse an der Symbolik der Bäume ist interessanterweise auch an solchen Tagen präsent, vielleicht weil man dann einmal Zeit und Muße hat, über Allgemeineres nachzudenken. Gleichzeitig merke ich, dass im Angesicht des Fastnachtstreibens in den Köpfen jetzt schon der Frühling präsent ist. Die Fastnacht quasi als Maßnahme zum Vertreiben des Winters aufgefasst wird. Das ist aber nur deshalb so schlüssig, weil wir diesen milden Winter erleben, der Gedanken an Frühling wahrscheinlicher macht als gewöhnlich Anfang Februar.

Persönliches Baumtagebuch von Bernhard Lux: Täglich begegne ich den Bäumen auf vielfältigen Wegen. An ihrem jeweiligen Standort in der Natur, in der Lektüre von Baum- und anderer Literatur, in der alltäglichen Reflexion, der handwerklichen Arbeit und im Gespräch mit der Familie oder Freunden und Kollegen. Es ist mir ein Bedürfnis, diese themenbezogenen Beobachtungen, Interaktionen und Kommunikationen in Form des Baumtagebuchs zu dokumentieren. Seit dem 20. November 2004 habe ich keinen einzigen Tag ausgelassen – ein Zeichen dafür, dass das Baumthema und der Baum als Archetypus tatsächlich im Alltagsleben verankert ist und vielfältige inhaltliche Assoziationen ermöglicht. So mag dieses Baumtagebuch jeden seiner Leser/innen auf die Spur einer je eigenen Beziehung zu den Bäumen führen.