Das Ende der Jahreszeiten-Jahre

Jedes Jahr hat seinen ganz eigenen Charakter. Geprägt wird dieser von den unvorhersehbaren Abfolgen klimatischer Verhältnisse, aber auch und vor allem von persönlichen Entwicklungen und Eindrücken. Dies konnte ich in der Vergangenheit immer wieder feststellen: Umweltwahrnehmung und Selbstwahrnehmung hängen ganz eng miteinander zusammen, beeinflussen sich gegenseitig in großem Maße. Es gab Jahre, die ich als Frühlingsjahre bezeichnen würde, weil das Frühjahr der Zeitraum meiner größten Aufmerksamkeit gegenüber der Natur war, etwa weil ich mir vorgenommen hatte, die Blüten der Bäume und Sträucher genau zu beobachten und mein Archiv von Makro-Fotografien derselben sukzessive zu erweitern. Das war sehr spannend, denn dabei gab es natürlich auch immer wieder Neues zu entdecken und Gesehenes zu bestimmen. Am Ende stand dann ein umfangreicheres Bild dessen, was ,,Frühling“ bedeutet, ein Bild, das ich in der Folge abrufen konnte. In ähnlicher Form gab es Sommer- und Herbstjahre. Allerdings an ein echtes ,,Winterjahr“ kann ich mich eigentlich nur in meiner Kindheit erinnern. Damals waren die ,,Winterjahre“ allerdings nicht von der Naturbeobachtung, sondern eher von kindlichen Wintersportaktivitäten, sprich Schlittenfahren, und dem Besuch zugefrorener Seen im Wald geprägt und sind in dieser Form in die Erinnerung eingegangen. Seit 2-3 Jahren nun kann ich diese Jahreszeiten-Jahre nicht mehr wirklich erkennen, möglicherweise weil sich die Jahreszeiten zunehmend einander annähern, der aktuelle Winter z. B. zeitweise frühlingshafte Züge trägt, die Herbste der letzten Jahre häufig zur Hälfte sommerlich ausfielen, und auch der Sommer zumindest in einem Fall als durchwachsener Frühlings-Herbst erfahren werden musste. Die Jahreszeiten und mit ihnen die typischen periodischen Differenzen des Klimas gehen langsam, aber erkennbar verloren. Eine Angleichung, die mir eine Entsprechung auf der ökonomisch-sozialen Ebene unseres Daseins zu haben scheint.